Kolumne

Klemmers Keile: Ein Wintermärchen

In der Kolumne Klemmers Keile berichtet Bergsteiger-Autor Alex Klemmer von Kuriositäten, die ihm am Berg und im Tal passieren. Dieses Mal: Der Eiger steht plötzlich in Österreich?

Unser Kolumnist Axel Klemmer weiß sofort, dass auf diesem Bild der echte Eiger aus der Schweiz abgebildet ist. Andere wollten wohl einfach nur ein schönes Bergbild verwenden.
Unser Kolumnist Axel Klemmer weiß sofort, dass auf diesem Bild der echte Eiger aus der Schweiz abgebildet ist. Andere wollten wohl einfach nur ein schönes Bergbild verwenden.© schame87 - stock.adobe.com / Planet Outdoor

Der Eiger, und vor allem seine Nordwand ist zum Symbol des "heroischen" Alpinismus geworden, bei dem Triumph und Tragödie oft nur durch einen kleinen Fehltritt getrennt waren.

In der Nordwand des Eiger – 1800 Meter hoch und fast fünf Kilometer breit – spielten sich mehr Dramen ab als anderswo in den Alpen. Er ist wohl einer der bekanntesten Berge der Alpen und liegt in der Schweiz. Sicher? Unser Kolumnist Axel Klemmer hat ihn vor kurzem in Österreich entdeckt.

Die Geographie der Alpen

Die Geografie der Alpen ist kompliziert, keine Frage, aber Berge sind unzweifelhaft Fakten. Das heißt, alle topografischen Kartenverzeichnen sie am selben Ort und prinzipiell mit denselben Namen und Höhenangaben. Anders ist es mit den eher künstlerischen Landkarten oder Panoramabildern in den Werbeprospekten.

Da sieht das reale Hörnchen über dem Ort aus wie das Matterhorn, und der reale Gletscherriese drei Täler weiter wie der Grasbuckel, den man halt auch im Sommer beschneit. Alternative Fakten gehören zum Geschäft der Werbung: ausblenden, weglassen und schöner machen, Heimisches heranholen und in die Ferne rücken, was den Nachbarn gehört.

Der Eiger über Grindelwald im Böhmerwald

Letzten November, am Beginn der Wintersaison, lag einer großen deutschen Tageszeitung eine Sonderveröffentlichung bei. Sie enthielt 24 Seiten Werbung für zahlende Regionen und Hotels in den Alpen und im Böhmerwald. Die Broschüre hieß "Urlaubszeit – Die schönsten Urlaubsziele in Österreich und Bayern". Österreich und Bayern, das sind die Fakten.

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Dazu zeigte das Titelfoto, was Titelfotos solcher Broschüren immer zeigen: vorne einen Heustadel mit Schneedach auf weißer Wiese, dahinter einen hohen Berg, und zwar den… also, das war, das ist… nein… doch, er ist es wirklich: der Eiger im Schweizer Kanton Bern, aufgenommen von der Großen Scheidegg über Grindelwald. Die Nordostwand schön schattig, über der scharfen Schneide des Mittellegigrats ein strahlender Sonnenstern. Unter dem Bild stand die Zeile "Wie ein Wintermärchen". Das mit dem Märchen war immerhin nicht gelogen.

Die Kraft der Kreativität

Laut Impressum handelte es sich bei dieser Werbebeilage um ein Kundenmagazin einer Werbeagentur in Kooperation mit einer Salzburger Tageszeitung. Die Werbeagentur sitzt ebenfalls in Salzburg. Sie schreibt auf Ihrer Webseite: "Wir glauben an die Kraft der Kreativität. Und zwar in jedem Bereich." Woran die Kollegen ganz offensichtlich auch glauben: dass es weder im Salzburger Land oder sonst wo in Österreich noch in Bayern Berge gibt, die es an Attraktivität mit dem Eiger aufnehmen können.

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In der Praxis wird das dazu führen, dass die Klimaziele in noch weitere Ferne rücken. Denn nun werden unzählige Menschen kreuz und quer von Bayern zum Böhmerwald und über Salzburg nach Tirol fahren und sie werden dabei massenweise Kohlendioxid emittieren, immer auf der vergeblichen Suche nach diesem tollen Berg auf dem Titel.

Watzmann, Drei Zinnen oder Eiger?

Ich übertreibe. Tatsächlich wird den meisten Menschen das Bild vom Eiger gar nicht aufgefallen sein. Ich kenne viele, die können den Watzmann nicht von den Drei Zinnen unterscheiden. Berge, sagen sie, sehen doch alle gleich aus. Andere Menschen sind dafür nicht in der Lage, Fußballgiganten wie den Monte Messi oder den Piz Ronaldo, ja sogar den Cerro Füllkrug oder das Müllerhörndl auseinanderzuhalten – nicht einmal auf einem 65-Zoll-OLED-UHD-4K-Fernseher.

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Dieser großen Tageszeitung hätte im November 2022 genauso gut eine Broschüre des Deutschen Fußballbundes DFB beiliegen können: "Fußball-WM Katar – Die besten Teams der Welt". Auf dem Cover ein Bild der Deutschen Mannschaft, darunter die Zeile: "Ein Wüstenmärchen".

Axel Klemmer kann aus der Entfernung Berge besser erkennen als Fußballspieler, selbst wenn letztere sich nicht die Hand vor den Mund halten.

Kolumne Klemmers Keile: Noch mehr Unterhaltsames findest du hier