Leserbericht

Trekking in Kirgistan: Der lange Weg nach Tash Rabat

2 Wochen und 150 Kilometer zu Fuß: Gerda Pauler aus der Planet Outdoor Community war mit dem Rucksack in dem zentralasiatischen Land unterwegs.

Zwei Wochen war Gerda Pauler in Kirgistan alleine unterwegs. Ihre einmaligen Erlebnisse des Abenteuer liest du hier.
Zwei Wochen war Gerda Pauler in Kirgistan alleine unterwegs. Ihre einmaligen Erlebnisse des Abenteuer liest du hier.© Gerda Pauler

Kirgistan, oder auch Kirgisistan, ist ein sehr gebirges Land in Zentralasien zwischen China, Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan. Es hat rund 6,5 Millionen Einwohner und ist mit rund 200.00 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie Österreich.

Kirgisistan liegt im Hochgebirge des Tianshans, der höchste Berg ist der 7439 m hohen Dschengisch Tschokusu. Gerda Pauler aus der Planet Outdoor Community war für ihr Trekking-Abenteuer zwei Wochen in dem Land.

Zwei Wochen Trekking-Abenteuer in Kirgistan

Ich habe keine Eile und möchte das Reisen aus der Perspektive der Händler erleben, die mit Karawanen den Pfaden durch die Berge folgten. Tagelang konstruiere ich mit Hilfe alter russischer Militärkarten mögliche Routen und Abkürzungsrouten für Notfälle. 150 Kilometer ohne Dörfer, entlang tiefer Täler, über 4000 Meter hohe Pässe. Als Highlight habe ich einen Abstecher zum Chatyr Kol („himmlischer See“) eingeplant, der auf etwa 3500 Meter nahe der chinesischen Grenze liegt.

Nach einer 90-minütigen Fahrt, die mir der Betreiber meiner Unterkunft in Naryn vermittelt hatte, hält das Auto einige Kilometer hinter Kasybek an. Der Fahrer stellt meinen Rucksack auf den Boden, steigt ein, gibt Gas und lässt mich in einer Staubwolke am Rand der sandigen Nebenstraße  zurück. Hier ist Nichts und Niemand. Nur Weite. Manche Menschen erschreckt es, wenn um sie herum plötzlich nichts mehr ist. Ich bin ein Liebhaber des Nichts, denn es lässt sich mit den Dingen füllen, die ich liebe: Abenteuer.

Am Rand einer staubigen landstraße in Kirgistan steht ein Trekkingrucksack, Wanderschuhe und Wanderstöcke für eine Trekking-Tour bereit.
Ausgesetzt an einer staubigen Landstraße. Jetzt kann das Abenteuer beginnen!© Gerda Pauler

Zeitreise zu den Hirten im Keltebek Tal

Mit Verpflegung für 14 Tage im Rucksack wandere ich durch die sengende Hitze der vegetationslosen Sand- und Steinwüste in Richtung Keltebek Tal. Als ich endlich den Taleingang erreiche, öffnet sich ein Tor in eine andere Welt. Sattes Grün und das Rauschen des Flusses sind meine neuen Begleiter.

Obwohl es im Tal keine Dörfer gibt, herrscht reges Treiben – für kirgisische Verhältnisse. Jetzt im Sommer leben Hirtenfamilien mit ihren Tieren im Tal, da nahe der Siedlungen kaum Weidemöglichkeiten zu finden sind. Alles vertrocknet im regenarmen Sommer. Sie verladen ihren Hausrat in Autos oder Kleinlaster, errichten ihre Jurten oder beziehen einfache Steinhütten. So wie ich begeben sie sich auf eine Zeitreise; ohne Strom, Internet und Handy.

Bedächtig führt die Schotterpiste das Tal hinauf. Ich ziehe es eigentlich vor, auf Steigen zu wandern, aber zu Beginn von Mehrtagestouren liegt der volle Rucksack drückend auf den Schultern, und ich freue mich über die geringe Steigung und die Möglichkeit, die Bergstiefel noch verpackt zu lassen.

Sattes Grün im Keltebek-Tal ermöglicht Alm-Wirtschaft.
Sattes Grün im Keltebek-Tal ermöglicht Alm-Wirtschaft.© Gerda Pauler

Wassermangel am Chatyr Kol

Am Moinok Pass an meinem zweiten Tag endet die Genusswanderung abrupt, und der Shiritky Pass, mit fast 4000 Metern Höhe schaut am dritten Tag höhnisch grinsend zu mir herunter. Der Pfad wird steiler und schlechter. Des öfteren verliert er sich, und ich irre ziellos umher, bis ich erneut auf ihn stoße. Wertvolle Zeit und Energie gehen bei der Suche verloren, und auf den letzten 100 Höhenmetern zwingt mich das Gewicht des Rucksacks, der kaum weniger wiegt als zu Beginn der Tour, alle 20 Schritte zum Pausieren. Erschöpft stolpere ich den Pass hinauf.

Die Mühe hat sich gelohnt, denn die Aussicht auf den Chatyr Kol und die Schneegipfel des Torugart-Too Gebirges, das die Grenze zu China darstellt, ist kaum zu überbieten. Zur Stärkung fische ich die letzten Kekskrümel aus dem Deckelfach des Rucksacks, bevor ich mich auf den weglosen und zeitraubenden 500 Höhenmeter-Abstieg mache. Mit Schweiß auf der Stirn träume ich nur noch von einem erfrischenden Bad im See. Es soll anders kommen.

Blick vom Shiritky Pass auf den Chatyr Kol und das Torugart-Too Gebirge.
Blick vom Shiritky Pass auf den Chatyr Kol und das Torugart-Too Gebirge.© Gerda Pauler

Klimawandel und Wassermangel in Zentralasien

Je weiter ich absteige, desto weniger Wasser plätschert im Bachbett. Um auf Nummer sicher zu gehen, beende ich den Wandertag bevor ich am Seeufer eintreffe. Mein Abendessen blubbert lautstark im Kochtopf, als ich drei Gestalten dem Flusslauf folgend auf mich zukommen sehe. In der Regel bekomme ich Besuch von neugierigen Hirten (Männer), aber heute ist es eine Frau mit ihren zwei Söhnen, Eine seltene, aber nette Überraschung.

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Unsere Unterhaltung beginnt mit dem üblichen woher und wohin, und während sie mit einem Krug Wasser schöpft und die mitgebrachten Plastiktonnen füllt, klagt sie über den diesjährigen Wassermangel. Kurz vor meiner Ankunft in Kirgistan, hatte ich gelesen, dass innerhalb weniger Jahrzehnte die Durchschnittstemperatur in Zentralasien um 5 Grad gestiegen ist; in tiefer gelegenen Regionen sogar noch mehr. Zufolge des Artikels ereignen sich immer häufiger langanhaltende Dürreperioden. Ich erlebe das nun am Chatyr Kol hautnah mit.

In heißen Sommern wird Trinkwasser zur Mangelware
In heißen Sommern wird Trinkwasser zur Mangelware.© Gerda Pauler

Pause im Jurtenlager am Chatyr Kol

Die Wanderung von meinem Übernachtungsplatz durch die wellige, grau-braune Uferlandschaft ist nicht erbaulich. Staubwolken und Nebel blockieren die Aussicht. Die Berge kann ich nicht einmal erahnen. Verloren wirkende Yak- und Pferdeherden streifen durch die Trostlosigkeit. Durst quält mich. Sämtliche Bäche und Flüsse sind ausgetrocknet. Ich entscheide mich für einen Abstecher zum Touristen-Jurtenlager am Chatyr Kol.

"Kommen noch andere Wanderer von Tash Rabat? Seit Tagen warten wir auf Gäste" Enttäuschung schwingt in ihren Stimmen mit. Ich bestelle eine Suppe, stocke meinen Keksvorrat auf, fülle die Wasserflasche und ziehe nach einer längeren Pause los.
Der Nachmittag unterscheidet sich in keinerlei Hinsicht vom Vormittag. Staubwolken, Nebel und quälender Durst. Alle in der Karte eingezeichneten Wasserläufe sind ausgetrocknet. "Sicherlich finde ich Wasser sobald ich die Abzweigung in das nächste Tal erreiche", spreche ich mir Mut zu. Tatsächlich weicht das sandige Beige der Uferregion vielversprechendem Grün. Es gibt irgendwo Wasser, doch ich finde es nicht. Soll ich zum Jurten-Camp zurück?

Selbst große Flüsse sind vollkommen ausgetrocknet.
Selbst große Flüsse sind vollkommen ausgetrocknet.© Gerda Pauler

Kymys im einsamen Hirtenlager

Ich folge dem Seitental und stoße auf ein einsames Hirtenlager. Ein altes Auto parkt neben der Jurte, und die Familie ist damit beschäftigt, Flaschen mit milchig-weißem Inhalt im Kofferraum zu verstauen. „Oh, Kymys!“ rufe ich erfreut noch ehe ich die Leute begrüße. Eine halbe Minute später nehme ich auf einem dicken Teppich Platz und leere die erste Tasse Kymys mit gierigen Schlucken. "Du hast Glück gehabt. In einer Viertelstunde wären wir weg gewesen", bemerkt die Gastgeberin und füllt meine Tasse erneut.

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Die dritte Tasse Kymys ist geleert, und ich spüre die Wirkung des Alkoholgehalts, der bis zu 4,5 Prozent betragen kann. Wohlige Müdigkeit durchströmt mich, und die für mich ohnehin schwierige Artikulation der tsch- , schtsch-, sch- und sh-Laute der russischen Sprache ist erschreckend beeinträchtigt. Die vierte Tasse lehne ich betont ab. Zum Abschied bekomme ich eine Flasche Kymys in die Hand gedrückt. "Für den Notfall. Wasser gibt es ein kleines Stück weiter oben. Es ist einfach zu finden", sagen meine Gastgeber.

Unweit des Hirtenlagers gelange ich an den angekündigten Bach und folge ihm bergauf. Meine alkoholisierte Hochstimmung verebbt leider allzu schnell, als ich erkenne, dass aus der Richtung, in der ich weitergehen will, kein Wasser fließt. Somit ist der Ort für die Übernachtung vorbestimmt. Ich bin gespannt, welche Überraschungen der morgige Tag bringt.

Eine Flasche Kymys – für den Notfall.
Eine Flasche Kymys – für den Notfall.© Gerda Pauler

Dehydrierung und Höhenkrankheit

 Auf dem Passübergang wird mir bewusst, dass ich hinsichtlich des weiteren Tourenverlaufs eine finale Entscheidung treffen muss. Dehydrierung stellt einen wichtigen Faktor bei Höhenkrankheit dar und wird zur ernsthaften Gefahr. Mein Wasservorrat ist nahezu aufgebraucht. Selbst die auf der Karte als "permanent wasserführend" gekennzeichneten Flüsse sind zu Schotterstreifen mutiert. Meine vorgesehene Route würde für mindestens zwei Tage durch ein Gebiet verlaufen, wo ausschließlich saisonale Wasserläufe eingetragen sind. Die Chance fündig zu werden ist, realistisch betrachtet, gleich NULL.

Um den Prozess der Entscheidungsfindung zu unterstützen, hole ich meine "eiserne Reserve" (=Kymys) aus dem Rucksack. Zischhhhhhhh! Die Höhe und die Vergärung lassen das Getränk wie geschüttelte Limonade aus der Plastikflasche sprudeln. Oh je! Meine aufwallende Verzweiflung veranlasst mich dazu, den Rest der vergorenen Stutenmilch in einem Satz zu trinken. Kein Tropfen bleibt übrig. Dem Himmel und den Berggeistern sei Dank, dass die Vernunft trotz des Alkohol-Einflusses siegt. Wenige Minuten später steige ich in Richtung Süden ab; zurück zum See.

Die Vernunft siegt trotz des Alkohol-Einflusses: Ich steige ich in Richtung Süden ab; zurück zum See.
Die Vernunft siegt trotz des Alkohol-Einflusses: Ich steige ich in Richtung Süden ab; zurück zum See.© Gerda Pauler

Camping: sternenklaren Nacht am Ufer des Chatyr Kols

Mir gefällt die Idee eine sternenklaren Nacht am Ufer des Chatyr Kols zu verbringen, und obwohl ich von der Hirtin gehört hatte, dass es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, vom See Wasser zu holen, gehe ich nicht zum Touristen-Camp, wo ich in Bezug auf Wasserversorgung in Sicherheit wäre.

Es gelingt mir zwar durch den tiefen Morast entlang des Ufers an den See zu stapfen, aber das Wasser ist so moorig, dass mein Wasserfilter den Dienst verweigert. Der Rest in der Wasserflasche reicht noch für zwei Tassen Kaffee. Zufrieden lege ich mich im Zelt auf den Schlafsack und widme mich meinen Tagträumen. Zum ersten Mal auf einer Tour wünsche ich mir, dass es am nächsten Morgen in Strömen regnet.

Morgenstimmung am Chatyr Kol.
Morgenstimmung am Chatyr Kol.© Gerda Pauler

Genusswandern in Kirgistan

Im Nachhinein könnte ich behaupten, dass ich von Anfang an geplant hatte, nicht wie alle Touristen über den Tash Rabat Pass zu gehen. Die Wahrheit ist, dass ich den Pfad verfehlte und keine Lust verspürte, noch länger nach ihm zu suchen. Ein Seitental lag einladend vor mir, Karte und GPS bestätigten, dass es einen Übergang nach Tash Rabat gibt. und ich hatte genügend Zeit und Vorräte, um einen Umweg in Kauf zu nehmen.

Nach einem Camp im "falschen" Tal folge ich einem Steig zum Bel-Djol-West Pass; Erholungswandern pur.

Genusswanderung zum Bel-Djol-West Pass.
Genusswanderung zum Bel-Djol-West Pass.© Gerda Pauler

Alte Karawanserei in Tash Rabat

Meine Hoffnung, einen Blick aus der Höhe auf die alte Karawanserei werfen zu können, wird nicht erfüllt. Sie schmiegt sich an den Bergrücken, den ich herunterlaufe, und taucht erst im Blickwinkel auf, als ich das Tal erreiche. Mein erster Eindruck: Enttäuschung. Wo ist die Karawanserei, die ich in Prospekten gesehen hatte? Wo ist der mythische Ort in der weiten, samtgrünen Verlassenheit des At-Bashy Gebirgszuges? Autos, Straße, Parkplatz und etwa 30 Jurten. Nach acht einsamen Wandertagen brauche ich Zeit, mich an Motorengeräusche und Staubwolken der passierenden Fahrzeuge zu gewöhnen.

Tash Rabat (übersetzt Fort aus Stein) wurde im 15. Jahrhundert errichtet und diente Händlern und Reisenden auf dem unwirtlichen Streckabschnitt zum oder vom Torugart Pass als Unterkunft. Man vermutet jedoch, dass bereits im 10. Jahrhundert ein Bauwerk an dieser Stelle stand. Bis heute ist allerdings nicht eindeutig geklärt, ob es sich dabei um ein nestorianisches oder ein buddhistisches Kloster handelte, da keinerlei Artefakte entdeckt wurden. Die Karawanserei gilt nicht nur als eine der beachtenswertesten Bauten Kirgistans sondern Zentralasiens.

Ich erwerbe eine Eintrittskarte und tauche in die Vergangenheit ein. Dunkelheit und Kühle werden intensiver, je weiter ich dem Hauptgang folge. Ich bin erstaunt über die Ausmaße, denn die fast quadratische Karawanserei misst außen nur etwa 36 Meter; viele der schätzungsweise 30 Räume wurden in den Fels gebaut. .

Die Zeit steht nicht nur still für mich sondern bewegt sich rückwärts, und plötzlich bin ich mittendrin. Neben mir sind müde Händler in der Halle versammelt und erzählen von ihren Reiseabenteuern. Exotische Waren werden herumgereicht und begutachtet, Tauschgeschäfte per Handschlag vereinbart, Weginformationen eingeholt oder weitergegeben. Doch Vorsicht ist angesagt, denn nicht jeder, der hier sitzt ist ein Freund. Tückische Überfallpläne werden geschmiedet und so mancher Dieb kann der Versuchung nicht widerstehen und entwendet ein wertvolles Schmuckstück oder ein seltenes Tierfell. Wasser, Brot und getrocknetes Fleisch werden umhergereicht. Ich höre Lachen und Rufen, Streiten und Schimpfen. Rauch zieht durch die Halle und löst bei mir Husten und Tränenfluss aus. Man kratzt sich, da nicht nur Menschen Nähe zueinander suchen, sondern auch die Läuse und Flöhe.

Die Haupthalle der Karawanserei.
Die Haupthalle der Karawanserei.© Gerda Pauler

Der Weg zurück – mit Hindernis

Nach einem Luxusfrühstück in Tash Rabat geht es über den Bel-Djol-Ost Pass weiter. Entlang des Aufstiegs bieten sich mir die letzten Blicke auf die geheimnisumwobene Karawanserei bevor sie endgültig hinter einer Biegung verschwindet. Am späten Nachmittag erreiche ich die Talverzweigung, die ich bereits vom Beginn meiner Tour kenne. Ab hier geht es auf "vertrautem Terrain" weiter. Kinderspiel? Weit gefehlt.

Beim Hinweg musste ich den Fluss nicht queren, doch von Tash Rabat kommend befinde ich mich auf der "falschen" Seite. Ich suche nach einer seichten Stelle. Dann heißt es Bergstiefel und Socken ausziehen und durch. Es geht einfacher als befürchtet. Bereits nach 200 m versperrt mir eine hohe Verbauung den Weg. Es findet sich keine Möglichkeit das Hindernis zu umgehen. Dass ist auch der Sinn der Sache. Die Hirten treiben ihre Tiere in die Hochtäler und damit sie auch dort oben bleiben, errichtet man Sperren. Wieder zurück zum Fluss. Bergstiefel und Socken ausziehen und durch......eine neue seichte Stelle suchen, die oberhalb der Verbauung liegt.

Gute Idee, aber ein rostiger Stacheldrahtzaun verhindert mein Weiterkommen am Ufer. Das Flussbett hinauf? Auch diese Option scheidet aus, da der Zaun bis zur anderen Seite führt. Derartige Hindernisse waren auf keiner Karte eingezeichnet. Ich betrachte die Konstruktion der Verankerung. Der stramm verlegte Stacheldraht ist gerade weit genug vom Boden entfernt, um kleinere Gegenstände durchzuschieben. Ich packe alles aus dem Rucksack und zwänge die Einzelteile unter dem Zaum durch. Ich zögere etwas bevor ich den leeren Rücksack auf die andere Seite werfe. Nun bleibt mir keine Wahl. Sehnsüchtig denke ich an meine Kletterschuhe daheim im Schrank. Mit denen wäre es ein Kinderspiel zu klettern, aber es klappt überraschend gut mit den Bergstiefeln. Dann sammle ich alle Einzelteile ein, packe den Rucksack und folge dem vertrauten Steig hinauf zum Moinok Pass, den ich am folgenden Tag überquere.

Ein kleiner, aber leistungsfähiger Gaskocher ermöglicht das Abendessen auch weit abseits der Zivilistation.
Ein kleiner, aber leistungsfähiger Gaskocher ermöglicht das Abendessen auch weit abseits der Zivilistation.© Gerda Pauler

Babuschka und die Sowjetunion

Das grüne Tal gefällt mir eindeutig besser als die vor mir liegende Wüste. Am Flussufer sitzend studiere ich die Landkarte und errechne die erforderliche Durchschnittsgeschwindigkeit, um die Ortschaft Kasybek am frühen Nachmittag erreichen zu können. Dann bliebe noch genügend Zeit, um weiter nach Naryn zu fahren. Kasybek bietet keine Übernachtungsmöglichkeit, und aus Sicherheitsgründen raten selbst Kirgisen davon ab, in oder in der Nähe von Ortschaften zu campen. Mir bleibt die Wahl zwischen Power Walk und einem genüsslichen Spaziergang mit zusätzlicher Zeltnacht am Ende des Tals. Ich komme zu keinem Entschluss.

Weniger als zehn Minuten nach meinem Aufbruch bringt der Tag die erste Überraschung; eine Einladung zum Morgen-Tee bei einer Hirtenfamilie. Flugs überschlage ich den errechneten Zeitverbrauch für die gut 20 Kilometer und komme zu dem Ergebnis, dass ich mir ohne weiteres eine halbstündige Rast gönnen kann. Zugleich ergäbe sich eine Gelegenheit, meinen überflüssigen Proviant (Getreidebrei und Kekse) loszuwerden.

Babuschka (Großmütterchen) Madina, die etwas jünger ist als ich, heizt den Samowar an, und ihr Mann erzählt von der guten alten Zeit, als die Sowjetunion günstige Wohnungen für die Bürger errichtete, und Wasser, Strom und Heizung so gut wie nichts kosteten. Der Tee wird serviert, Brot und (meine) Kekse liegen auf einem Teller bereit, Butter und Marmelade werden aufgetischt... eine halbe Stunde Pause? Das Vorhaben ist ad acta gelegt.

Nahezu jede Begegnung endet mit einer Einladung.
Nahezu jede Begegnung endet mit einer Einladung.© Gerda Pauler

Das Ende des Abenteuers Trekking in Kirgistan

Mit "Verspätung" geht es weiter; dem wüstenartigen Tiefland mit seiner Backofen-Temperatur entgegen. Mein Schritt wird schleppend, und selbst das Auftauchen der ersten Häuser in weiter Ferne bringt keinen Motivationsschub. Ganz im Gegenteil. Ich würde lieber im grünen Tal bleiben. Mein GPS meldet: acht Kilometer bis Kasybek!

Eine Kuh trottet an mir vorbei, gefolgt von einem reitenden Hirten, der natürlich sofort wissen will wohin ich unterwegs bin. "Nach Kasybek und, wenn möglich, weiter nach Naryn" lautet meine Antwort. Bleib hier sitzen, sagt der Mann. "Ich treibe meine Kuh heim, melke sie und hole dich mit meinem Auto ab. Am Wochenende verkehren keine Busse, aber für 1000 Som (rund 15 Euro) fahre ich dich 40 Kilometer zur Haltestelle nach At-Bashi."

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Er treibt sein Pferd an, und ich bleibe am Wegrand sitzen und warte... und warte... und warte. Wie lange braucht man, um nach Kasybek zu reiten und eine Kuh zu melken? Keine Ahnung. Soll ich losgehen oder hier in der prallen Sonne ausharren? Wie lange dauert es bis man einen Hitzschlag hat? Keine Ahnung. Meine Trinkflasche ist leer und das letzte Keks gegessen. Ich lege eine Frist fest; noch 10 Minuten.

Endlich taucht eine Staubwolke in der Ferne auf, und mit lautem Hupen fährt ein Auto auf mich zu. Natürlich geht es nicht sofort von Kasybek weiter nach At-Bashi. Erst muss gegessen und Tee getrunken werden. Mir ist das nur Recht. Nach der Stärkung nutzen meine Gastgeber die seltene Gelegenheit, einen zahlenden Fahrgast zu haben, zu einem Familienausflug in die Kleinstadt. Mit Ehefrau, Schwester, Kindern und diversen Gepäckstücken schaukeln wir über die Landstraße; dem Ende meines Abenteuers entgegen. In At-Bashi steige ich in ein Sammeltaxi um und setze meine Reise nach Naryn fort.

Der Hirte auf seinem Pferd reitet erst nach Hause und melkt seine Kuh, anschließend holt er mich mit seinem alten Auto ab.
Der Hirte auf seinem Pferd reitet erst nach Hause und melkt seine Kuh, anschließend holt er mich mit seinem alten Auto ab.© Gerda Pauler

Trekking in Kirgisistan: Das musst du wissen

  • Wichtige Info: Das Gebiet südlich des Tash Rabat Passes ist Sperrgebiet. Genehmigungen (ca 30 Euro) gibt es bei allen CBTs (Community Based Tourism). https://cbtkyrgyzstan.kg/category/groups/ Dort werden auch organisierte Touren angeboten.
  • Beste Reisezeit: Ende Juni bis Anfang September
  • Karte: Kyrgystan – Internal Tien-Shan 1:200 000 erhältlich in den Büros der CBTs
  • App: RUSSIAN MILITARY MAPS; viele interessante Funktionen für Outdoor-Aktivitäten in der ganzen Welt. Karten (sehr genaue Topographie, aber veraltet) können offline verwendet werden.

Trekking: Weitere Tipps zum Wandern und Trekken