Interview

Martin Maier: "Vieles ist schlicht gelogen"

Der Extrembergsteiger Martin Maier überlebte 2014 schwerverletzt ein Lawinenunglück am Shishapangma, die zwei seiner Teamkokllegen das Leben kostete. Die Umstände der Katastrophe erlebte er völlig anders, als seine anderen Teammitglieder Benedikt Böhm und Ueli Steck sie schilderten. Ein Gespräch über Überleben, Freundschaft und Moral am Berg.

Martin Maier (l.), Benedikt Böhm (m.) und Sebastian Haag (r.) vor der Expedition zum Shishapangma
Martin Maier (l.), Benedikt Böhm (m.) und Sebastian Haag (r.) vor der Expedition zum Shishapangma© Elias Lefas

Martin Maier geriet bei einer Shishapangma-Expedition am 24. September 2014 in dieselbe Lawine, die Benedikt Böhms Teamkollegen Sebastian Haag und Andrea Zambaldi das Leben kostete.

Maier überlebte. Er rettete sich schwerverletzt selbst. Die Umstände der Katastrophe erlebte er völlig anders, als Benedikt Böhm und Ueli Steck sie später schilderten.

PLANET OUTDOOR: Herr Maier, wie geht es Ihnen 20 Monate nach der Katastrophe am Shishapangma?

Martin Maier: Das Unglück hat mich zunächst völlig aus dem Leben gerissen. Meine Emotionen, Aufmerksamkeit und Selbstwahrnehmung waren bei null. Die Augen und Gelenke sind weitgehend wieder hergestellt. Größere Probleme machen mir die Folgen der Kopfverletzungen. So habe ich nach wie vor Konzentrations- und Sensibilitätsstörungen. Außerdem tue ich mich schwer, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, wie etwa Hunger und Durst, Freude und Schmerz.

Welche Verletzungen hatten Sie?

Eine Rückenmarksprellung und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnblutung. Dadurch wurde die Augenmuskulatur gelähmt, und ich habe alles doppelt gesehen. Dazu kamen die vielen verletzten Bänder, Gelenkkapseln und Knochen in beiden Knien und Sprunggelenken. Zum Glück war nichts völlig kaputt, aber es war auch nichts mehr heil.

Martin Maier Shishapangma
Martin Maier nach dem Lawinenabgang schwer lädiert zurück in Lager 2.© Foto: Martin Maier

Können Sie sich an die Situation vor der Lawine erinnern?

Es war kurz vor 7 Uhr. Wir traversierten in ca. 7900 Meter Höhe eine relativ flache Kuppe am Nordgrat. Vor uns lag ein letzter felsdurchsetzter Aufschwung unterhalb des Zentralgipfels, den wir überwinden mussten. Alte Fixseile zeigten einen Weg, der uns aber in die Nordflanke geführt hätte, wo sehr viel Neuschnee lag. Bene (Benedikt Böhm; Anm. d. Red.) spurte und wollte dort hinüber.

Mir behagte die Situation nicht, und so schlug ich ihm vor, auf die restliche Mannschaft (bestehend aus Basti Haag, Andrea Zambaldi und Ueli Steck; Anm. d. Red.) zu warten, um gemeinsam über den Weg zu entscheiden. Aber Bene ging weiter. Ich wollte nach den anderen schauen, aber kaum drehte ich mich um, zog es mir die Füße weg.

So erlebte Martin Maier das Lawinenunglück

Was haben Sie in diesem Augenblick noch wahrgenommen?

Ich spürte, dass der ganze Hang in Bewegung geraten war und versuchte, mich aus den Schneemassen herauszuwinden. Dabei wäre ich beinahe mit Basti kollidiert. Ich sehe noch seinen Blick. Dann nahm das Schneevolumen rapide zu, und ich war nur noch damit beschäftigt, immer wieder an die Lawinenoberfläche zu gelangen, während ich kämpfte, um Rucksack und Skistöcke von meinem Körper zu bekommen.

Nach einem Sturz über einen Gletscherabbruch verlor ich das Bewusstsein. Etwa 500 Höhenmeter weiter unten kamen die Schneemassen zum Liegen – und ich wundersamerweise auf ihnen.

Von Basti Haag haben Sie nichts mehr gesehen?

Nein. Fünf bis sechs Stunden später erlangte ich langsam wieder das Bewusstsein. Ich spürte mich nicht, habe nichts wahrgenommen. Es war wie in einem Film, alles wirkte surreal. Immer wieder wurde ich bewusstlos, bis ich merkte, dass mein Zustand realer war, als ich es empfand.

Ganz langsam kamen die Erinnerungen zurück. Shishapangma – Expedition – Mannschaft – Lawine... Der Gedanke an meine Tochter Paula trieb mich schließlich an, mich aufzurichten.

Zeitraffer-Aufnahmen vom Tag des Unglücks

Was empfanden Sie?

Ich fragte mich, wo ich mich genau befinde, wo die anderen sind und wie ich mich aus meiner Lage befreien kann. Irgendwann war ich mir relativ sicher, in welcher Richtung Camp 3 liegt. Ich versuchte, mich aufzurappeln. Dabei sah ich, dass neben mir ein Arm aus dem Schnee ragte. Ich kroch hin und erkannte an der Armbanduhr, dass Andrea (Zambaldi; Anm. d. Red.) dort verschüttet war. Ich wollte nach ihm graben, aber der Schnee war hart wie Beton.

Es war kurz vor 13 Uhr – sechs Stunden nach dem Lawinenabgang. Andrea konnte also unmöglich noch am Leben sein. Da keine Spuren aus dem Lawinenkegel führten, ging ich davon aus, dass alle meine Kameraden ums Leben gekommen waren.

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Wie sind Sie dann bis zum Lager 3 gekommen?

(Zeigt ein auf den 21.10. datiertes Satellitenbild) Das ist eine Aufnahme von Google Earth, einen Monat nach dem Unglück. Dort unten lag ich, ich hab die Route nachgezeichnet. Hier ist die Querung hinüber zum Lager 3, etwa 700 Meter entfernt. Das Höhenprofil zeigt, dass es keine größere Steigung gab. Ich war nicht fähig, zu gehen.

Ich stand auf, fiel hin, rappelte mich wieder auf – schlussendlich bin ich gekrochen. Mein Kopf hat funktioniert, aber der Körper hat nicht gehorcht. Es hat Stunden gedauert, bis ich das Zelt erreicht habe.

Martin Maiers Nacht in Lager 3

Wie ging’s dann weiter?

Meine Hoffnung, hier jemanden anzutreffen, wurde enttäuscht. Für den Abstieg war es viel zu spät – und mein Zustand zu desolat. So schaufelte ich mit den Händen den Schnee aus dem kaputten Zelt, legte mich platt hin und schlief sofort ein. Nachts wachte ich auf, weil es mich vor Kälte schüttelte.

Lawinenabgang Shishapangma
Der Verlauf der Lawine und der Weg, den Maier zurücklegte.© Foto: Elias Lefas, nachgezeichnet: Thomas Kämpf

Im Zelt gab’s wenigstens Schlafsack und Ersatzausrüstung?

Nein, da war nicht viel – weder Schlafsack noch Daunenhose. Ueli hatte noch einen Materialrucksack deponiert. Ich wollte ihn durchsuchen, aber da ich zu erschöpft war und meine Stirnlampe nicht finden konnte, musste ich mich wieder schlafen legen. Schlimmer als die Kälte aber war der Durst. Ich fand im Zelt zwar einen Kocher, aber kein Feuerzeug. Dennoch überstand ich die Nacht relativ gut. Am Morgen wollte ich den Weiterweg nach unten antreten. Aber meine Beine versagten.

Ich wusste, dass ein Sturz in der Steilflanke auf dem Weg zum Lager 2 fatal wäre. Also beschloss ich, weiter auszuruhen. Zurück im Zelt fand ich, jetzt bei Helligkeit, ein Feuerzeug. Endlich konnte ich mir Schnee schmelzen.

Wie fühlten Sie sich zu dem Zeitpunkt?

Klar denken konnte ich, aber ich war ganz weit weg von allem und verspürte eine unendliche Einsamkeit. Ich fühlte keine körperlichen Beschwerden, keine Trauer über die verlorenen Freunde oder Sorge um mich. Es war ein ewiger Kampf zwischen Erschöpfung und Überlebensdrang. Während ich mir Wasser kochte, hörte ich eine Stimme rufen. Es war die von Norbu. Zusammen mit seiner Frau Andrea hatte er die Organisation und Logistik für unsere Expedition übernommen. Glücklich, ihn bei mir zu haben, war ich nun sicher, den Abstieg zu schaffen.

Er versorgte mich mit Aufbauspritzen und kurzzeitig mit Sauerstoff. Jetzt erfuhr ich auch, dass Bene und Ueli lebten und bereits am Vortag in das Basislager abgestiegen waren. Nach einer Erholungszeit nahm Norbu mich an das kurze Seil und wir starteten den Abstieg. In Lager 2 angekommen, betreute mich Carlos Martinez, Arzt einer spanischen Expedition. Er begleitete mich mit seinem Team die nächsten zwei Tage bis in das Basecamp.

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Martin Maier über widersprüchliche Darstellungen

Warum hielten sich Böhm und Steck im Basislager auf und kamen Ihnen nicht zu Hilfe?

Das weiß ich nicht, ich habe mir diese Frage auch lange nicht gestellt. Natürlich erhielt ich viele Informationen, in diesem Moment waren sie mir aber nicht wichtig. Ich war zurück – nur das war für mich entscheidend!

Erst in Deutschland wurde ich mit vielen Fragen und Berichterstattungen konfrontiert. Sie stimmten nicht mit meiner Wahrnehmung überein und veranlassten mich, die Geschehnisse zu hinterfragen, um ein genaueres Bild zu erhalten.

Es gibt Videoaufzeichnungen der Funksprüche zwischen Benedikt Böhm sowie Ueli Steck und dem Basislager, auf denen zu hören ist, dass sie eine Person auf dem Lawinenkegel liegen sehen. Warum kam keine Hilfe?

Norbu und seine Frau Andrea nahmen sofort Kontakt zu den Expeditionen in den Lagern 1 und 2 auf. Sie baten diese, wenn möglich, aufzusteigen oder zumindest oben zu bleiben. Aufgrund der schlechten Wettervorhersage wollten ursprünglich alle zurück ins Basislager. Norbu wollte sofort starten, ließ sich aber zunächst überreden, im Basislager zu bleiben.

Letztlich waren die Aussagen in den Funksprüchen von Bene und Ueli wohl entscheidend. Diese sahen keine Möglichkeit, den Lawinenkegel zu erreichen, und beschrieben die Situation als aussichtslos. Immerhin waren mit Bene und Ueli zwei erfahrene Alpinisten vor Ort, deren Einschätzung man glaubte.

Ueli Steck mit Frau
Ueli Steck zurück im Basislager.© Foto: Elias Lefas

Martin Maier: Schuld und Verantwortung

Wenn die beiden doch einen aus der Gruppe gesehen hatten, warum querten sie selbst nicht?

Bene hat das öffentlich nie erwähnt. Ueli erzählte mir, dass in seinen Augen die Lawinengefahr zu groß war und ihm das Queren des Hangs zu riskant erschien. Er macht sich deswegen große Vorwürfe – ich mache ihm keine. Es geht mir auch generell nicht um das Thema "Schuld".

Am Berg ist jeder erst einmal für sich selbst verantwortlich, jeder ist aus freien Stücken dort oben. Nur – wenn jemand für sich selbst keine Sorge mehr tragen kann, dann bin ich, meiner Meinung nach, dazu verpflichtet, für ihn Verantwortung zu übernehmen. In welcher Art und Weise das auch immer passieren mag.

Und das ist vor Ort nicht passiert?

Ich will gar nicht sagen, dass mir die beiden selbst hätten helfen müssen. Aber man hätte zumindest anderen die Entscheidung selbst überlassen müssen zu helfen oder nicht. Statt zu behaupten, "es gibt keine Chance, jeder Rettungsversuch ist aussichtslos", hätten sie sagen können: "Wir sind nicht in der Lage, uns ist die Lawinengefahr zu groß."

Am Manaslu im Jahr 2012 zeigte sich Bene Böhm nach der Lawinenkatastrophe sehr hilfsbereit. Warum dieses Mal nicht – obwohl die eigenen Leute betroffen waren?

Es ist etwas anderes, ob einem die Opfer direkt vor die Füße fallen, oder ob man sich für sie aufopfern muss. Anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären. Bene antwortete mir lediglich, dass er sich nicht mehr genau erinnern kann. Was mich aber noch viel mehr verärgert hat, ist, dass er in seinen Darstellungen die Tatsachen nicht so geschildert hat, wie sie waren. Stattdessen wurden Dinge erfunden und konstruiert, die einfach nicht den Fakten entsprechen.

Zum Beispiel?

Ich könnte viele Passagen in Artikeln wie im "Bergsteiger", Heft 12/2014, oder im "Focus" im Heft 46/2014 nennen, auf die ich Bene sogar aufmerksam gemacht habe, bevor sie gedruckt wurden. Er hat meine Anmerkungen immer ignoriert. "Basti spurte und ging vom Grat weg...", heißt es zum Beispiel. Es gibt Fotoaufnahmen – Bene selbst hat gespurt und den Grat verlassen! Ueli widerspricht sich diesbezüglich in seinen Aussagen.

Einmal hielt er sich zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs mit Bene weiter oben am Berg auf, ein anderes Mal spurte Basti – oder Bene, er ist sich anscheinend nicht sicher. "Die drei Verschütteten hatten keine Überlebenschance", sagt Bene weiterhin. Er hat gesehen, dass eine Person nicht verschüttet war und sich sogar noch bewegt hat – das geht aus den aufgezeichneten Funksprüchen hervor.

"Der Hang spülte sie binnen Sekunden in ein anderes Tal", obwohl wir am Nordgrat waren, von dem aus lediglich die Nordflanke abgeht. "Martin hat noch nach Basti und Andrea gesucht, sie aber nicht gefunden" – ich hätte sie zu Andrea Zambaldi hinführen können. Ich sagte sofort, dass ich seinen Arm aus dem Schnee ragen sah. So wurde den Angehörigen die Möglichkeit genommen, selbst über eine Bergung zu entscheiden. Zu sagen: "keine Spuren..., alles aussichtslos" – das ist schlichtweg gelogen.

Mehrere entstandene Fotoaufnahmen widersprechen Böhms Aussagen.
Mehrere entstandene Fotoaufnahmen widersprechen Böhms Aussagen.© Foto: Elias Lefas

Gab es denn keine weitere Initiative für eine Rettungsaktion aus dem Basislager?

Um 9 Uhr erreichte ein Funkspruch von Ueli und Bene das Basislager. Eine Querung zum Lawinenkegel schien ihnen zu gefährlich. Daraufhin entschloss sich Thomas Kämpf, Mitglied einer anderen Expedition, auf eine gegenüberliegende Hügelkette zu steigen. Dort hatte er einen guten Einblick in die Nordwand und machte Fotos vom Lawinenkegel.

Da er nach einstündiger Suche mit dem Feldstecher keine Personen am Berg erkennen konnte, stieg er gegen 14 Uhr wieder ab, wobei er immer wieder nach oben schaute. Gegen 14.30 Uhr entdeckte er einen winzigen Punkt. Er schaute immer wieder hoch und konnte dann sehen, wie sich der Punkt ganz langsam in Richtung Lager 3 bewegte. Um 16 Uhr war er dann wieder im Basecamp. Dort erfuhr er, dass es sich nicht um einen Retter handeln konnte.

Daraufhin zog Norbu Sherpa los?

Ja, zum zweiten Mal. Zunächst hatte er sich von den Funksprüchen abhalten lassen, aber machte sich später dennoch ein erstes Mal auf den Weg nach oben – bis er auf Ueli und Bene traf. Die versicherten ihm, dass es keine Überlebenschancen für die Opfer gebe. So ging er mit den beiden wieder zurück und erreichte gegen 16.30 Uhr das Basislager. Dort erfuhr er dann vom eben zurückgekehrten Thomas Kämpf, dass sich eine Person in Richtung Lager 3 bewege.

Nach einem kurzen Imbiss brach er um 17 Uhr erneut auf. Um 1.20 Uhr nachts musste er aufgrund des schlechten Wetters seinen Aufstieg in Lager 2 unterbrechen. Er setzte seinen Weg um 7 Uhr morgens fort und erreichte mich, wie bereits erwähnt, um circa 10 Uhr in Lager 3. Ich kann Norbu für diesen unglaublichen Einsatz gar nicht genug danken.

Den zweiten Gipfelversuch konnte man auch auf dem Live-Ticker der "Double 8"-Expedition von Dynafit verfolgen. Sämtliche Eintragungen wurden nach dem Unglück gelöscht. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Von diesen Veröffentlichungen hatte ich zunächst keine Kenntnis. Davon habe ich erst nach meiner Rückkehr in München erfahren. Die diversen Blog-Einträge, die ich dann las, haben mich sehr irritiert. Ich habe während des gesamten Aufstieges keinen der drei irgendeinen Eintrag erstellen sehen. Als besonders makaber empfinde ich es, dass Basti und Andrea zum Zeitpunkt "ihrer" Einträge bereits ums Leben gekommen waren. Dass der Live-Ticker gelöscht wurde, wundert mich daher nicht.

Martin Maier außen vor
Maier (o. r.) war nur inoffiziell Teil des Teams um B. Haag, A. Zambaldi und B. Böhm (v. l.).© Foto: Elias Lefas

In wieweit waren Sie überhaupt in diese "Double-8"-Expedition zum Shishapangma involviert?

Bene fragte mich bereits Ende 2013, ob ich ihn im Herbst 2014 auf eine Expedition begleiten möchte. Damals stand noch nichts Konkretes fest. Es waren die Berge Cho Oyu oder Shishapangma im Gespräch. "Egal, auf welchen es geht – ich bin dabei", antwortete ich ihm. Das Vorhaben, beide Berge in einer Expedition zu besteigen und die Distanz dazwischen mit dem Fahrrad zurückzulegen, besprachen wir dann im Frühjahr 2014.

Von der Internet-Präsentation "Double 8" erfuhr ich erst, als bei einem Zwischenstopp auf unserem Flug nach Kathmandu zwei griechische Kameraleute dazustießen und uns den ersten Trailer mit den Teilnehmern Basti, Bene und Andrea vorstellten.

Warum waren Sie nicht Teil der Gruppe?

Prinzipiell war ich – wie auch Norbu und seine Frau – Teil der Gruppe. Doch alles, was wir am Berg geleistet haben, wurde konsequent ausgeblendet. Schon bei den ersten Dreharbeiten in Kathmandu sagte man mir: "Martin, geh’ mal auf die andere Straßenseite, wir müssen uns filmen." Irgendwann fragte ich, welchen Part ich ihrer Ansicht nach im Team habe. "Schließlich brauchen wir jemanden, der die Zelte hochträgt", bekam ich als Antwort.

Auch wenn sie lustig gemeint war – es gab tatsächlich viel zu tun. Wir hatten keine Träger, niemanden, der für uns spurte. Wir waren zunächst die einzigen am Berg. Am Tag des zweiten Gipfelversuches hatte ich von Lager 1 bis knapp unter Lager 3 fast 1000 Höhenmeter alleine gespurt. Insofern war ich wohl ein gebrauchter, aber in der Darstellung unerwünschter Teil der Expedition.

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Hat Sie das verletzt?

Ich hatte mich nie aufgedrängt. Andererseits empfinde ich es als selbstverständlich, dass Personen, die einen erheblichen Anteil zu einer Expedition beitragen, nicht komplett ausgeklammert werden. Auf der Dynafit-Homepage gab es nach der Katastrophe einen Nachruf auf Basti Haag und Andrea Zambaldi.

Ueli Steck wurde als einer der weltbesten Alpinisten in die Berichterstattung mit aufgenommen, obwohl er nur einen Tag mit uns gegangen ist. Von mir keine Notiz, nicht mal mein Name wurde erwähnt. Erst als ich Bene damit konfrontierte, fügte man einen Satz hinzu, dass ein Martin Maier auch dabei war und "gerettet" wurde.

Martin Maier: "Basti fühlte sich von Bene hintergangen."

Im Film "Freundschaft auf Zeit" wird das Verhältnis von Bene und Basti beleuchtet. Wie haben Sie die beiden erlebt?

Ich habe Bene und Basti 2012 am Manaslu kennengelernt. Dort, wie auch am Shishapangma wirkten sie auf mich mehr wie eine Zweckgemeinschaft. Vertraut, aber distanziert.

Wie kam es, dass Ueli Steck zu Ihrer Expedition stieß?

Basti hatte nach dem ersten Gipfelversuch einen Infekt erwischt. Für den zweiten Versuch gab es nur ein kurzes Wetterfenster und es war ungewiss, ob er so schnell wieder fit sein würde. Bene sagte uns am Tag vor dem Aufbruch, dass er nun mit Ueli zu seiner Speed- Begehung starten werde.

Ueli wollte ursprünglich mit seiner Frau Nicole auf den Gipfel. Unter den Wetterbedingungen war das aber nicht möglich. Daher schloss er sich kurzfristig unserer Expedition an. Für Basti war das ein Schlag ins Gesicht. Er hat danach völlig frustriert in einem Videointerview geäußert, dass er sich nicht zum ersten Mal von seinem Partner hintergangen fühlte.

Warum äußern Sie sich erst jetzt zu dem Unfall?

Die Zeit heilt nicht alles – weder Verletzungen, die bis heute geblieben sind, noch die Traurigkeit und Erbitterung darüber, dass Menschen ihren Selbstwert auf Kosten anderer steigern möchten. Ich kann nur Wege finden, mit meinen Beeinträchtigungen und mit der Einseitigkeit der bisherigen Berichterstattung umzugehen. Lange hatte ich nicht die Kraft dazu, aber dieses Interview ist wohl ein Teil meines Weges.

Ich empfinde es als großes Geschenk, noch hier sein zu dürfen und so möchte ich auch all denen Danke sagen, die in Tibet und daheim für mich da waren. Den Verlust von Basti und Andrea kann ich nicht beschreiben – ich kann sie nur in guter Erinnerung behalten.

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