Nirmal Purja im Interview: "Es wäre noch schneller gegangen"
Im Januar 2021 gelang Nirmal Purja und neun weiteren Nepalesen die erste Winterbesteigung des K2. Wir haben den Alpinisten 2020 interviewt – wenige Monate, nachdem er in Rekordzeit alle 14 Achttausender bestiegen hatte.
PLANET OUTDOOR: Herr Purja, Sie haben im Sommer 2019 alle 14 Achttausender bestiegen – in nicht einmal sieben Monaten. Was war Ihre Motivation für dieses Projekt?
NIRMAL PURJA: Beim Project Possible ging es nie um mich – ich habe das auch vom ersten Tag an so gesagt –, sondern darum, der Menschheit, den jetzigen und kommenden Generationen zu zeigen, dass alles im Leben möglich ist. Zu zeigen, was Menschen schaffen können, und die Wahrnehmung bezüglich des menschlichen Potenzials zu verändern.
Es ging aber auch darum, die nepalesischen Bergsteiger in der Welt bekannt zu machen, und um die nepalesische Gesellschaft allgemein. Ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Ihnen zu zeigen, welche Berge da sind. Sie leben zwar im Land der 8000er, können aber mit Bergen wenig anfangen.
Sie selbst haben ja auch erst spät mit dem Klettern angefangen.
Stimmt, erst 2012. Ich machte eine Trekkingtour ins Everest-Basecamp und beschloss spontan, noch den Lobuche East (6100 m) zu besteigen. Bis zum Frühjahr 2019 war ich bei den Gurkhas (nepalesische Soldaten im Dienst der britischen Armee, Anm. d. Red.) und den Special Boat Services, einer Spezialeinheit der britischen Streitkräfte, ich war also nur Teilzeit-Kletterer.
Für Project Possible konnte ich auch gar nicht wirklich trainieren, denn ich war so beschäftigt damit, die Finanzierung aufzutreiben, dass ich keine Zeit dafür hatte. Die Annapurna war quasi meine Trainingstour.
Sie haben teils mehrere Gipfel innerhalb weniger Tage bestiegen. Wie haben Sie das mit der Regeneration hinbekommen? Irgendwelche speziellen Mittelchen oder Tricks?
Nein, gar nichts. Mein Körper ist einfach unglaublich. (lacht) Er steckt alles weg.
Sind Sie eher Alpinist oder Ausdauersportler?
Ich bin beides.
Was bedeuten Ihnen Berge?
Wenn man die ganze Zeit unter Elitesoldaten ist, denkt man irgendwann, man sei unbesiegbar. Die Berge rücken einem die Perspektive wieder zurecht. Sie erden einen. Außerdem sind sie einfach wunderschön, meine Heimat. Ich klettere nur für mich, ich muss niemandem etwas beweisen.
Wenn man Ihre Webseite anschaut oder die Pressemitteilung Ihres Sponsors Osprey liest, geht es viel um Rekorde. Es wirkt fast so, als würden Sie nicht nur für sich, sondern auch für das Guinness-Buch der Weltrekorde klettern.
Ja, ich habe sieben Weltrekorde aufgestellt. Aber bei diesem Projekt ging es nicht um Rekorde, sondern um das, was Menschen schaffen können. Ich habe übrigens bereits während meiner Zeit in der Spezialeinheit drei Rekorde aufgestellt.
Aber dass dieses Projekt etwas viel Größeres war, zeigt doch schon die Unterstützung aus der ganzen Welt. Unglaublich viele Leute haben gespendet, mal 10 Dollar hier, 20 Dollar dort. Ich kam aus dem Nichts, alleine hätte ich das nie geschafft.
Die Finanzierung war ein ziemliches Problem, oder?
Einen Achttausender zu besteigen kostet über 50 000 Euro – und das mal 14. Permits, Ausrüstung, Verpflegung und und und. Auch als das Projekt schon lief, musste ich immer wieder pausieren und neues Geld organisieren.
Nirmal Purja über den Zeitraum des Projekts
Welche Schwierigkeiten gab es während der Durchführung des Projekts noch?
Unterwegs hatten wir mit internationalen politischen Problemen zu kämpfen. (Die chinesische Regierung hatte für diese Saison die Shishapangma gesperrt. Nachdem sich die internationale Bergsteiger-Gemeinschaft für Nirmal Purja eingesetzt hatte, gewährte man ihm eine Sondererlaubnis, Anm. d. Red.) Oft mussten wir erstmal Fixseile verlegen, die dann auch andere genutzt haben, zum Beispiel an der Annapurna.
Wir waren an vier Rettungsaktionen beteiligt. Das Wetter spielte zum Teil nicht so mit, sodass wir weniger Zeit hatten. Am Daulaghiri etwa erreichten wir den Gipfel erst um 6 Uhr abends, was extrem spät ist. An diesem Tag waren wir 18 Stunden auf den Beinen. Trotzdem flogen wir gleich am nächsten Tag zum Kangchendzönga-Basislager und standen drei Tage später auf dem nächsten Gipfel.
Egal was, ich konnte mein Projekt nicht aufs Spiel setzen, wir mussten weitermachen. Denn ich hatte alles darauf gesetzt, meinen Job gekündigt und eine Hypothek auf mein Haus in Großbritannien aufgenommen.
Was waren das für Rettungsaktionen?
Als wir gerade unseren ersten Gipfel, die Annapurna, geschafft hatten, kam mitten in der Nacht ein Hilferuf. Ich hatte noch kaum geschlafen. Aber wir machten uns sofort startklar und wurden zum Lager 3 auf 6500 Metern geflogen, von wo wir in Windeseile zu Wui Kin Chin aufgestiegen sind. Wir haben ihn dann zum Lager 3 runtergebracht.
Bei den Gurkhas habe ich mitbekommen, dass es nichts Wichtigeres gibt als das Leben. Das gilt auch am Berg. Es stand also außer Frage, dass wir hingehen und helfen.
Im Abstieg vom Kangchendzönga, den wir in nur 21 Stunden bestiegen haben, sind wir auf 8000 Metern auf zwei Bergsteiger getroffen, denen der Sauerstoff ausgegangen war. Sie waren in Lebensgefahr. Wir haben ihnen unsere Flaschen gegeben und mussten uns dann mit der Umstellung und dem plötzlichen Sauerstoffmangel arrangieren.
Warum wollten Sie das Ganze innerhalb von sieben Monaten machen?
Weil es eben so lange gebraucht hat. Wenn ich mehr Geld gehabt hätte, hätte ich es auch in 4 Monaten geschafft.
Haben Sie darüber nachgedacht, es langsamer anzugehen, dafür ohne künstlichen Sauerstoff?
Nein. Es ging mir nicht darum, es ohne Sauerstoff zu machen. Wegen dem Sauerstoff konnten wir Unglaubliches leisten. Wir haben mehrere Rekorde aufgestellt – Ningma David Sherpa zum Beispiel ist der jüngste Mensch, der je auf allen Achttausendern stand, neun davon hat er im Rahmen des Projekts bestiegen.
Wir sind bei 120 km/h Wind geklettert – andere verlassen da nicht mal das Zelt. Wir haben Fixseile verlegt, Routen präpariert. Weil wir mit Sauerstoff unterwegs waren, konnten wir Menschenleben retten. (Alle drei Bergsteiger starben später an den Folgen von Höhenkrankheit und Kälte, Anm. d. Red.)
Nirmal Purja über die Kritik an der Vorgehensweise
Finden Sie, dass Ihre Leistung mit der des vorherigen Rekordhalters Kim Chang-ho vergleichbar ist? Er brauchte sieben Jahre, nutzte aber keinen Flaschensauerstoff und ging zu Fuß zu den Basecamps. Jerzy Kukuczka, der den Titel davor innehatte, hatte die meisten Achttausender auf neuen Routen oder im Winter bestiegen ...
Ich sehe hier keinen Diskussionsbedarf, denn es ging nie um einen Rekord. Manche Leute haben da eine andere Einstellung. Aber ich habe nun mal diese Herangehensweise gewählt.
In Bergsteigerkreisen kam es ja vereinzelt zu Diskussionen und Kritik. Ralf Dujmovits beispielsweise hat Ihre Vorgehensweise als Anachronismus bezeichnet. Wie gehen Sie damit um?
Aufgrund der Größe des Projekts habe ich mich für dieses Vorgehen entschieden. Für jeden einzelnen Berg gab es so viele Unwägbarkeiten: Wetter, Bedingungen usw. Am Daulaghiri waren wir in dieser Saison die Einzigen, die den Gipfel geschafft haben. Wir konnten das Projekt nur beenden, wenn wir lebend vom Berg runterkommen.
Am K2 schien es unwahrscheinlich, dass es überhaupt noch einen Gipfelerfolg in diesem Jahr gibt, dann haben wir die Seile verlegt, und viele andere haben den Gipfel bestiegen. Außerdem haben wir eine Route auf die Annapurna eröffnet, die seit 1970 nicht begangen worden ist.
Zur Person: Nirmal Purja
Nirmal Purja, genannt Nims, wurde 1983 in Dana am Rande des Nationalpark Annapurna geboren, wuchs dann allerdings im Flachland in Chitwan Nationalpark auf. 2003 wurde er Soldat bei den Gurkhas, 2009 beim Special Boat Service der British Army. Nur zwei Jahre, nachdem er mit dem Bergsteigen begonnen hatte, stand Nims 2014 auf seinem ersten Achttausender, dem Dhaulagiri.
Es folgten zahlreiche weitere, u. a. 2017 Everest, Lhotse und Makalu in nur fünf Tagen. Im Jahr darauf wurde er von der Queen zum "Member of the Order of the British Empire" ernannt. Für Project Possible gab der Elitesoldat seine Tätigkeit bei der britischen Armee auf.
Nirmal Purja ist Gründer und Geschäftsführer der britisch-nepalesischen Berg-Agentur "Elite Himalayan Adventures". Anfang 2021 gelang ihm gemeinsam mit neun weiteren nepalisischen Bergsteigern die erste Winterbesteigung des K2.