Felix Neureuther im Interview: "Am Berg droht der Ballermann"
Felix Neureuther hat nach dem Ende seiner Karriere als Skirennläufer ein neues Ziel: Er will die Menschen für die Schönheit und Schutzwürdigkeit der Berge sensibilisieren. Im Interview spricht er über schmelzende Gletscher, Massenandrang im Gebirge und die Verantwortung jedes Einzelnen.
Er ist der erfolgreichste deutsche Skirennläufer im Weltcup: Felix Neureuther. Er gewann fünf WM-Medaillen, eine davon in Gold. Kein Wunder, ist er doch der Sohn von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther. Auch sie waren beide sehr erfolgreiche Skirennläufer.
Felix Neureuther beendete allerdings schon im Jahr 2019 seine Profi-Karriere. Seitdem ist er als Sportexperte vor allem im Bayerischen Rundfunk zu sehen. Außerdem vermittelt er mit seiner Stiftung Kindern Spaß an der Bewegung. Vor allem ein Thema beschäftigt ihn, seitdem er sich aus dem Profi-Sport zurückgezogen hat: Der Schutz der Berge.
Felix Neureuther im Bergsteiger-Interview
BERGSTEIGER: Vom Skirennläufer zum Alpenschützer – das ist nicht gerade der klassische Weg nach dem Ende einer Profi-Karriere. Wie kam die Wandlung zustande?
Die Wandlung hat sich in mir über Jahre vollzogen. Wenn man jung ist, dann hat man nur den Sport im Kopf. Man achtet nicht so auf sein Umfeld und was dort passiert. Irgendwann hat es mich dann richtig angepackt. Ich realisierte auf einmal, wie die Gletscher schmelzen und wie viel weniger Schnee auf ihnen liegt. Mein Lebensinhalt schmolz quasi unter meinen Füßen weg. Wenn du beim Sommertraining statt auf weißem Gletscherschnee auf schwarzen, mit Staub und Eis übersäten Gletschern Fahrspuren suchst, dann macht das was mit dir.
Was genau hat es bei Ihnen bewirkt?
Es macht mich traurig und zornig zugleich. Unsere Berge und Pisten sind zum Massenbetrieb geworden. Krasses Beispiel dafür ist unser wunderschöner Eibsee, der im Sommer kaum mehr besuchbar ist, so viele Menschen strömen dorthin. Leider lassen sie auch viel Müll liegen. Ich würde das unter Strafe setzen wie in anderen Ländern auch. So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Ich habe selbst zwei Kinder und möchte die Einmaligkeit und Schönheit der Berge bewahren helfen.
Und wie wollen Sie vorgehen?
Es fängt schon damit an, dass man den Menschen vermitteln muss, die Berge so zu hinterlassen, wie sie sie vorgefunden haben. Oder noch besser: Es schadet keinem, sich zu bücken und Plastik oder Müll anderer mitzunehmen. Eigentlich wäre es so einfach.
Felix Neureuther: Kein Bewusstsein für Schöhnheit der Natur
Was läuft dann Ihrer Ansicht nach schief?
Viele haben überhaupt kein Bewusstsein mehr für die Natur. Sie laufen wie ferngesteuert mit ihren Handys rum und sehen nicht die Schönheit rechts und links des Weges, ja nicht einmal direkt vor sich. Dabei ist es so wichtig, die Menschen in die Berge zu holen, ihnen aber gleichzeitig auch die Verantwortung für diese einmalige Natur ins Bewusstsein zu rücken. Dazu muss man bei den Kindern beginnen, damit es ein Teil ihrer selbst wird, damit sie Tiere und Pflanzen kennenlernen und die Natur schätzen lernen. Sonst droht uns der Ballermann in den Bergen. Dort hat er aber nichts zu suchen.
Wie geht es Ihnen mit den Instagrammern, die Hotspots ansteuern, um möglichst spektakuläre Bilder zu posten?
Ich finde, sie sollten lieber Bilder mit ihren Augen machen, als sie auf Instagram zu posten. Dann wäre schon viel passiert. Ich sehe es als Aufgabe für einen wie mich, die Menschen zu emotionalisieren und zu sensibilisieren, auf dass sie die Berge mit ihren Herzen betrachten. Ich bin mit Leidenschaft Skifahrer und weiß genau, was wir der Natur abverlangen. Ausflüge in die Berge bringen den Menschen Ruhe und Entschleunigung, dafür dürfen wir die Natur nützen. Ab exzessiver Tourismus hat in den Bergen nichts verloren. Wir müssen die Qualität verbessern und nicht die Quantität.
Sie waren 20 Jahre lang Teil des Skirenn-Zirkusses. Was sind die schlimmsten Auswüchse?
Was mich am meisten nervte, war die Reiserei: Erst nach Amerika in die Rockys, dann nach Frankreich und ein paar Tage später nach Finnland. Der Rennzirkus verordnet den Beteiligten ein voll gepacktes Programm, das nicht mehr zeitgemäß ist. Dieser gehört nicht nach nationalen Interessen, sondern nach Nachhaltigkeit umstrukturiert. Das hilft dann auch der Gesundheit der Athleten. Es gäbe also viele Gewinner.
Gibt es bei den Funktionären des Internationalen Skiverbandes FIS überhaupt ein Bewusstsein für die Verletzlichkeit der Bergwelt?
Leider nein. Es geht immer um den Kommerz. Mehr Fernsehzeit heißt mehr Werbezeit, heißt mehr Einnahmen. Ich bin auch ein Teil dieses Geschehens und lebe ja davon. Ich bin mir aber sicher, dass der Skirennsport nicht an Attraktivität verlieren würde, wenn sich die Gewichtung von FIS und Veranstaltern stärker an den Zeichen der Zeit und am Wohl der Athleten orientieren würde. Bei den Klimakatastrophen muss auch den Verbänden und Organisatoren klar sein, dass wir unseren Beitrag für künftige Generationen leisten müssen.
Und wie sieht es bei den Sportlern aus?
Eigentlich hätten sie eine riesige Macht. Leider gibt es aber keine "Skifahrergewerkschaft" wie im Eishockey in den USA, die Druck ausüben könnte. Die Athleten sind auf das Wohl und Wehe der Verbände angewiesen und müssen sich fügen. Mitsprache gibt es wenig. Als Sportler bleibt einem auch keine Zeit, sich in harte Auseinandersetzungen mit den Verbänden zu begeben. Am Ende zählt immer das Ergebnis.
Felix Neureuther über seine Mission: "Die Klimakrise ist da!"
Was ist Ihre Mission?
Erst einmal finde ich es gut, dass so viele Leute in die Berge wollen. Wie schon gesagt, geht es aber darum, mehr Qualität ins touristische Angebot zu bringen. Qualität im heutigen Sinne heißt aber, dass sich jeder in der Tourismusbranche die Frage stellt, was er dazu beitragen kann, dass die CO2-Bilanz stimmt.
Liftbetreiber und Tourismusorte sollten gemeinsam mit der Industrie Lösungen suchen. Schneeerzeugung kann dann Sinn machen, wenn die Energie dafür aus nachhaltigem Strom kommt. So eine Veränderung ist anstrengend und kostet viel Geld. In den Alpen leben viele Menschen vom Tourismus, deshalb ist auch die Politik gefragt. Meine Hoffnung ist, dass ein Umdenken stattfindet. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten. Ich setze mich zum Beispiel seit langem dafür ein, dass das Thema Bewegung in den Schulen eine größere Rolle spielt. Kinder brauchen Bewegung, um gesund durchs Leben zu kommen. Das muss man fördern und nicht blockieren.
Wie wollen Sie Kinder für die Umwelt sensibilisieren?
Meine Frage lautet: Wieso gibt es in der Schule kein Fach Umwelt und Natur? Das ist längst überfällig. Wir müssen ernsthaft über unser Schulsystem nachdenken. Die Gletscher schmelzen unaufhörlich, die Klimakrise ist schon voll im Gange – und unser Bildungssystem reagiert unheimlich träge. Ich war ja für mein Alpen-Buch auch am Kitzsteinhorn und habe mir dort von Glaziologen den Stand der Wissenschaft zeigen lassen. Das Forschungsteam dort oben hat Kooperationen mit österreichischen Schulen am Laufen. Es gibt auch bei uns Schulen, die mit den Kindern zu Umweltprojekten rausgehen. Ich finde, das muss Pflicht werden.
Felix Neureuther: "Berge sind für mich Orte der Ruhe"
Was bedeuten Berge für Sie?
Sie sind der Ort der größten Ruhe für mich. Man kann mich an jedes Meer dieser Welt packen – das Meer rauscht. Am Berg ist das einzige Geräusch vielleicht eine Gams im Steilhang oder der Wind, der durch die Baumwipfel oder über einen Grat pfeift. In die Berge zu gehen, heißt für mich, ein Ziel vor Augen zu haben.
Wenn ich es dann geschafft habe, am Gipfel anzukommen, empfinde ich tiefste Zufriedenheit, Dankbarkeit und auch Demut. Die Gedanken sind dann nur bei mir. Ohne Berge kann und will ich nicht sein. Nun sind die Gletscher kaum mehr zu retten. Das Kohlendioxid bleibt über Jahrzehnte in der Atmosphäre und wird eine weitere Erwärmung bedingen, selbst wenn wir den CO2-Ausstoß jetzt sofort stoppen würden.
Was macht diese Aussicht mit Ihnen?
Sie macht mich tieftraurig. In den Bergen stirbt etwas, was Jahrtausende lang da war. Jeder Meter Gletschereis, der abschmilzt, wird nicht mehr zurückkommen. Das ist dramatisch und wir tragen die Verantwortung.
Was ist die Konsequenz aus dieser Erkenntnis?
Das weiß inzwischen jeder: Wir müssen ganz radikal den CO2-Ausstoß zurückfahren. Jeder muss sich an die eigene Nase fassen. Es ist an der Zeit, das "Immer-Mehr" in Frage zu stellen und mit weniger zufrieden zu sein. Ich weiß, dass das bei den meisten noch nicht angekommen bist.
Wenn ich sehe, wie viel unnötiges Plastik immer noch in Umlauf und in die Meere gebracht wird, dann bringt mich das manchmal zum Verzweifeln. Das kann es einfach nicht sein. Viele niedrig gelegene Skigebiete in den Bayerischen Alpen, aber auch in Österreich, wird es wohl in zwanzig, spätestens dreißig Jahren nicht mehr geben. Es wird sich schlichtweg nicht mehr rentieren, sie zu beschneien.
Felix Neureuther: Keine Zukunft fürs Skifahren
Müssen wir uns vom Skifahren ganz verabschieden?
Ja, leider ist das eine Prognose, die nicht wegzuleugnen ist. Es werden sich aber in diesen Gebieten neue Strukturen neben dem Skilauf ergeben, die ebenso attraktiv sein können. Das Thema Natur ist mit und ohne Skiangebot unschlagbar. Ich fahre immer noch sehr gerne Ski und gebe diese Freude auch an meine Kinder weiter. Ich bin dennoch dafür, solche Skigebiete zu schließen. Diese Transformation geht fließend vor sich.
Trotzdem liegt es in der Verantwortung der Beteiligten, sich schon jetzt Gedanken zu machen, wie man nachhaltig so lange wie möglich Skisport ermöglichen kann und dennoch die Zukunft nicht verschläft. Der Wintersport muss sich generell Gedanken zu Alternativen machen. Wir erleben hier in unserer Region derzeit schon, dass ein Winter in den Bergen auch ohne Schnee unvergleichlich attraktiv ist. Wenn Skibars wegfallen, habe ich kein Problem damit. Ich bin auch in Freund vom Gletscherskifahren im Sommer. Das Geld sollte man stattdessen in nachhaltige Projekte stecken: Skigebiete klimaneutral machen, Hotels sowieso, neue Konzepte für die An- und Abreise entwickeln.
Wohin wird Sie Ihr weiterer Weg führen?
Das Bewegungsthema und das Engagement für meine Stiftung werden auch in Zukunft bestimmend sein. Wir werden
flächendeckend in Kitas und Schulen gehen und mit unseren Programmen versuchen, die durch die Bewegungsarmut unse-
rer Zeit entstehenden Defizite in der Gerhirnentwicklung bei Kindern zu reduzieren oder zu stoppen. Gerade die Verbindung von Sport und Gehirnleistung, also die Neuroathletik, ist im Leistungssport inzwischen verankert. Der Breitensport wird das
irgendwann übernehmen, Neuroathletik ist einfach gut für die Koordination. Mein Wunsch ist es, das Thema Bewegung
mit dem Thema Sensibilität für die Berge zu verbinden. Das passt einfach wunderbar zusammen.
Buchtipp: "Unsere Alpen" von Felix Neureuther
Die steigenden Temperaturen bedrohen die Alpen und ihre Bewohner. Felix Neureuther hat sich auf eine Reise durch die Berge begeben und mit vielen Experten gesprochen, die sich um den Schutz der Alpen kümmern. Der opulente Bildband erzählt von aktuellen Entwicklungen und zeigt Perspektiven auf. Das Buch kannst du direkt bei uns im Online-Shop bestellen.