HÜTTEN

Nach vier Jahren Forschung: Leitfaden für nachhaltigere Berghütten

Mit dem ANAH-Projekt hat die Sektion München des DAV in den vergangenen zwei Jahren ihre Hütten intensiv auf Nachhaltigkeit untersucht. Entstanden ist dabei ein Leitfaden, der nun für alle Berghütten angewendet werden kann

 

Das Taschachhaus im Pitztal wurde auf die Nachhaltigkeit untersucht.
Das Pilotprojekt untersuchte nicht nur das Gebäude des Taschachhaus, sondern auch den Hüttenbetrieb.© Yvonne Lesewa

Vier Jahre hat es bis zu diesem Tag gedauert: In einem Konferenzraum des Deutschen Alpenvereins steht Roman Ossner, Projektverantwortlicher bei der Sektion München des DAV, zusammen mit weiteren Mitarbeitern sowie Wissenschaftlern des Instituts für Geographie der Universität Innsbruck an einem kleinen Pult und spricht in die Kamera, die die Veranstaltung live ins Internet überträgt. Drei Stunden werden sie über Stoffströme, Bilanzierungen und Mobilitätsverhalten referieren.

Klimawandel am Taschachhaus im Pitztal

Rückblick ins Jahr 2018: Die Wirtsleute des Taschachhauses im Pitztalerleben den Klimawandel hautnah, es kommt zu immer mehr Steinschlag. Sie wollen deshalb zusammen mit der Sektion München, denen das Haus gehört, die Hütte nachhaltiger gestalten. Es ist eine Kombination aus Wissenschaft und Praxis, denn auch die Universität Innsbruck ist bei diesem Pilotprojekt eingebunden.

Ein Novum: Diese Untersuchung betrachtet die Hütte nicht isoliert als Gebäude, sondern auch den Betrieb. Aus dieser Studie entstand das ANAH-Projekt.

ANAH steht für Alpine Nachhaltigkeit auf Hütten und wurde von der Sektion München und der Uni Innsbruck mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union durchgeführt.
Ein Trinkwasserbrunnen nahe des Watzmannhauses im Nationalpark Berchtesgaden wird von drei Wissenschafltern untersucht.
Das ANAH-Projekt ist eine enge Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis.© Markus Röck

5 Hütten, 2 Jahre Forschung

Die letzten zwei Jahre wurde geforscht, Daten erhoben und Gäste befragt. Bei dieser zweiten Studie wurde nicht nur eine Hütte, sondern verschiedene Hütten erforscht. Denn alle Hütten sind unterschielich.

Anhand von über 30 Kriterien wurden die Albert-Link-Hütte am Spitzingsee, das Watzmannhaus, die Reintalangerhütteund die Höllentalangerhütte zusätzlich zum Taschachhaus ausgewählt.

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Probleme: Mure, Sturzflut, Corona

Eigentlich sollte auch die Franz-Senn-Hütte in den Stubaier Alpen untersucht werden. Eine Mure machte den Zugang allerdings unmöglich.

Und es gab noch mehr Hürden: Durch die Corona-Pandemie gab es plötzliche Grenzschließungen und veränderte Hüttenöffnungszeiten. Auch eine Sturzflut in der Höllentalklamm erschwerte das Projekt.

Die berühmte Höllentalklamm in der Nähe der Zugspitze.
Die berühmte Höllentalklamm in der Nähe der Zugspitze.© fotto - adobe.stock.com

22 Indikatoren der Nachhaltigkeit

In einem ersten Schritt wurde ein umfangreiches Tool entwickelt, um alle 22 Indikatoren, die untersucht werden sollten, standardisiert erfassen zu können.

Auch wenn die Nachhaltigkeit der Hütten im Fokus stand, ging es nicht nur um CO2 oder die ökologische Nachhaltigkeit – dies war nur ein Teilaspekt.

Es wurde auch die soziale und ökonomische Nachhaltigkeit betrachtet. Ziel war es, nicht nur die Hüttenwirtsleute, sondern alle am "System Hütte" Beteiligten miteinzubeziehen, also auch die Sektionen als Hütteninhaberin sowie die Hüttengäste.

Der Trinkwasserbehälter des Watzmannhauses wird kontrolliert.
Wo kommt das Trinkwasser her und wie wird das Abwasser der Hütten entsorgt? Nur eine der vielen Fragen des ANAH-Projekts.© Markus Röck

311 Kilometer bis zur Hüttentour

Das ANAH-Team war auch selbst auf den Hütten. Bei den Feldaufenthalten, wie Jutta Kister von der Uni Innsbruck es wissenschaftlich nennt, wurde beobachtet, wie viel Essen zurück geht und weggeschmissen werden muss, es wurde angeschaut, wie die Hütte versorgt wird und mit Fragebögen wurde herausgefunden, wie die Gäste überhaupt zur Hütte kommen.

"Wir haben rund 3000 ausgefüllte Fragebögen erhalten, so konnten wir auf das Mobilitätsverhalten des typischen Hüttengastes schließen", erklärt Kister.

Die durchschnittliche Anreise liegt bei 311 Kilometern, dafür wird vor allem das Auto genutzt. Damit auf Bus und Bahn umgestiegen wird, wurde auch über "radikalere Maßnahmen" nachgedacht. Eine dieser Aktionen ist bereits umgesetzt: Zahlreiche DAV-Hütten bieten im Aktionszeitraum eine kostenfreie Übernachtung, wenn die Anreise öffentlich erfolgt.

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Lichtverschmutzung: "Wie ein Insekten-Staubsauger!"

Ein weiterer untersuchter Indikator ist die Lichtverschmutzung. "Selbstverständlich hat eine alpine Hütte auch eine Notfunktion und sollte auch nachts für Bergsteiger erkennbar sein", erklärt Ossner. Trotzdem müssen die Hütten nicht intensiv angestrahlt werden.

Das Taschachhaus, so haben die Messungen im Rahmen des Projektes ergeben, ist 760-mal so hell wie die Umgebung. "Das ist wie ein Staubsauger, der alle Insekten aus ihrem Habitat ansaugt", führt Ossner aus. Durch weniger Licht sterben nicht nur weniger Tiere, der Hüttenpächter spart Strom und die Gäste haben ein ursprünglicheres Naturerlebnis.

Das Watzmannhaus bei Nacht, im Vordergrund steht eine Person und schaut in den Sonnenuntergang.
Eine Berghütte hat eine alpine Notfunktion und muss auch nachts erkennbar sein, trotzdem muss sie nicht intensiv angestrahlt werden.© Yvonne Lesewa

Ergbnis: Hüttenversorgung per Helikopter umweltfreundlicher als mit Auto

Es gab auch überraschende Ergebnisse: "Es klingt zunächst widersprüchlich: eine Hüttenversorgung mit dem Helikopter kann ökologischer sein als mit dem Auto", führt Ossner aus.

Denn Helikopterflüge, deren Belieferung und Zuladung für einen Termin genau geplant werden, fliegen seltener und nehmen dafür größere Mengen mit – Autos fahren für die gleiche Menge häufiger und unterminiert rauf und runter.

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150 Maßnahmen für nachhaltigere Hütten

Aus der Analyse der verschiedenen Daten und Erhebungen des ANAH-Projektshat das Team Vorschläge für rund 150 Maßnahmen erarbeitet.

Dabei geht es beispielsweise um eine bessere Reparaturfähigkeit der Geräte, angenehme Rückzugsräume für das Hüttenpersonal, eine gute Kommunikation mit den Gästen oder die Vermeidung von Verpackungsmüll auf der Hütte.

Ziel: Leitfaden für alle Hütten in den Alpen

Ziel des ANAH-Projekts war außerdem, einen Leitfaden zu erstellen, der die Verhältnismäßigkeit zwischen sozialen Ansprüchen, ökologischen Herausforderungen und ökonomischen Notwendigkeiten aufzeigen kann.

Dieser Leitfaden ist nun fertig ausgearbeitet. Er wird neue Standards für die nachhaltige Hüttenbewirtschaftung in den Alpenvereinen setzen und zukünftig flächendeckend eingesetzt werden.

Das ANAH-Team der Sektion München des DAV und der Universität Innsbruck.
Das ANAH Team der Sektion München des DAV und der Universität Innsbruck: Marc Stannartz, Thomas Gesell, Jutta Kister, David Segat, Roman Ossner, Yvonne Lesewa (v.l.n.r.).© Roman Ossner