Leichte Kletterstellen sicher meistern
Die Wege auf viele Gipfel führen durch den Fels – weil sie aber nicht immer abgesichert sind, sollte man sich mit dem Gedanken und der Praxis vertraut machen, leichte Klettereien frei zu bestehen. Nützliche Tipps für leichte Klettereien bis zum zweiten Grad.
Natürlich steigt jeder am liebsten gut gesichert. Auf dem Klettersteig zum Beispiel am Stahlseil entlang, die Arme des Sets stets eingehängt. Oder beim Sportklettern, wenn der Partner das Seil durchs Sicherungsgerät führt und achtgibt.
Doch nicht immer ist das möglich: Die Wege auf hochalpine Gipfel erreichen nur selten den Sicherungsstandard, den der Klettersteig-Boom in Hütten- oder Bergbahn-Nähe etabliert hat. Den Komfort der Absicherungen, der in Kletterhalle oder -garten herrscht, bieten sie so gut wie nie.
Andererseits: Braucht es Standards, wenn man den II. Grad sicher beherrscht? Der Zweier ist die Grenze zwischen Wandern und Bergsteigen. Wer sie passiert, dem öffnet sich eine unendliche Tourenvielfalt abseits der Wege, Massen und Markierungen.
Kurze Wandstücke, ausgesetzte Gipfelgrate, schrofige Stufen - wer ganz nach oben will, muss ab und zu leichtere Felspassagen, etwa im Schwierigkeitsgrad II, wo es noch nicht ganz senkrecht hinauf geht, auch ohne Sicherung bestehen können.
Denn auf solchen Kraxeltouren fehlt neben der Infrastruktur auch meist die Zeit, jeden Kletterabschnitt abzusichern, wenn man vor Einbruch der Dunkelheit auf den Gipfel und wieder zurück zur Hütte oder ins Tal will. Das Beherrschen des "Zweiergeländes" ist also eine der alpinen Grundtugenden – und nicht zuletzt auch am Mont Blanc gefordert.
Drei Tricks für's Beherrschen einer Zweier-Kletterstelle
Peter Albert, 45, Mitglied im Vorstand des Bergführerverbands VDBS und dort unter anderem in der Ausbildung engagiert, nennt vor allem drei Punkte, wenn es darum geht, ungesichert und trotzdem möglichst sicher zu klettern: Technik, die Kraft spart, den richtigen Umgang mit der Steinschlag-Gefahr und ein Bewusstsein dafür, dass man alles irgendwann wieder hinunter muss, was man hochgeklettert ist – was für viele oft schwieriger ist als der Aufstieg.
Wenn das Gelände steiler und felsiger wird, wenn aus dem Gehen also Klettern wird, kommen auch die Hände ins Spiel: Grundsätzlich sollte man nun – im Gegensatz zu Zügen beim artistischen, aber gesicherten Sportklettern – immer über drei Haltepunkte verfügen (beide Hände und einen Fuß oder beide Füße sowie eine Hand).
"Wenn man von einem Griff oder Tritt abrutscht, sind immer noch zwei Kontaktpunkte zum Fels da«, erklärt Peter Albert, »ein Sturz wird unwahrscheinlicher." Also wird immer nur eine Hand oder ein Fuß vorgesetzt, während die anderen am Fels verbleiben – und nie Hände und Füße gleichzeitig.
Auf Schwerpunktsuche
Wie stets sollten beim Steigen die Beine die Hauptlast tragen. Weil aber auch deren Kraft nicht endlos ist, empfiehlt er, kleine Schritte zu machen. Die sind kraftsparender, erfordern aber den Mut, die Füße auf kleinere Leisten zu setzen und nicht nur auf große und offensichtliche Absätze. "Man sollte lernen, den Füßen zu vertrauen." Auch mit schweren Bergschuhen kann man etwa in kleine Dellen auf Reibung treten oder Risse und Löcher geschickt nutzen.
"Dabei sollte man auf eine ›tiefe Ferse‹ achten" – wenn das obere Sprunggelenk etwas mehr als 90 Grad gebeugt ist, erzeugt man mehr Druck auf der Fußspitze. Tritte sucht man am besten nicht zu weit links und nicht zu weit rechts: »Trete unter dir!«, fasst Albert zusammen. Wer sich ständig weit verschiebt, verschleudert Kraft. Nun mag manchmal ein weiter entfernter Tritt sicherer erscheinen, doch Klettern ist im Idealfall ein kontinuierlicher Bewegungsfluss, bei dem der Körperschwerpunkt lotrecht über den Füßen bleibt. "Wer sich ständig in gespreizte Stellungen wuchtet, steht vielleicht bombenstabil – hat es aber auch schwieriger, wieder aus dieser Position herauszukommen."
Während man Absturzgefahr durch sicheres Steigen bannen kann, lässt sich das Thema Steinschlag weniger beeinflussen. Peter Albert hat jedoch einen überraschend einfachen Rat: "Früh aufstehen!" Wer morgens als erster auf dem Weg ist, vermeidet zumindest die Gefahr, Steine auf den Kopf zu bekommen, die Bergsteiger über ihm ausgelöst haben.
Weil man aber nicht immer gleich gut aus dem Bett kommt und sich zum Beispiel Gämsen nur selten an unseren Schlafgewohnheiten orientieren, sollte man trotzdem im Auge haben, wer sich wo über einem befindet. Wenn man hört, dass es kräftig zu rumpeln beginnt, sollte man einen Reflex vermeiden: "Nicht den Kopf recken, um nachzuschauen." Sondern im Gegenteil den Körper möglichst nah an die Wand bringen, um so wenig Trefferfläche wie möglich zu bieten, den Kopf einziehen. "Und wer keinen Ersatzkopf mit sich führt, der schützt seinen Schädel am schlauesten durch einen Helm", so Albert.
Vorsicht beim Abstieg
Natürlich sollte man auch selbst darauf achten, keine Steine ins Tal zu befördern. Und in brüchigem Gestein gut prüfen, bevor man Tritte oder Griffe belastet. »Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, kurz mit der Fußspitze gegen den Tritt zu treten.« Je dumpfer der Klang, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass dort etwas rausbrechen kann. Tritte, auf denen Schotter liegt, sollten vermieden werden – besonders gefährlich sind hier Bänder, die mit losem Schotter belegt sind.
"Auf genau solchen Bändern quert man aber oft – hier sollte man sich wirklich Zeit lassen und vorsichtig sein, vor allem wenn sich unter einem weitere Personen befinden." Denn oft lässt es sich nicht vermeiden, gleichzeitig mit anderen in einem Wandstück zu klettern, zum Beispiel, wenn man in einer Gruppe unterwegs ist. »Um auch dann möglichst hohe Sicherheit zu erreichen, empfiehlt es sich, diagonal versetzt hintereinander her zu steigen, so dass niemand in der Falllinie des anderen ist«, rät Albert.
Ist der Gipfel erreicht, heißt es zunächst: Glückwunsch, Schokolade, ein Schluck aus der Flasche. Dann aber geht es früher oder später an den Abstieg, "den würde ich immer taloffen beginnen", sagt Albert, "mit dem Hintern zum Berg und dem Gesicht zum Tal". So hat man den besseren Überblick, wohin die Route gehen soll.
Wird das zu unsicher, kann man es seitwärts versuchen – "so hat man immer noch alles im Blick, kann sich aber schnell zur Wand drehen, wenn es schwierig wird". Denn frontal zur Wand hat man immer noch besten Stand, nur ist das Blickfeld eben sehr beengt. "Grundsätzlich gilt aber: Die Abstiegsart, bei der man sich am sichersten fühlt, ist die beste" – und Anfänger fühlen sich meist mit dem Gesicht zur Wand am wohlsten.
Wie man Blockaden im Fels vermeidet
Nicht nur die objektive Sicherheit von Griffen und Tritten entscheidet darüber, ob man es erst auf den Gipfel und dann wieder hinunter schafft, sondern auch das subjektive Sicherheitsgefühl. Gerade bei Neulingen, die Situationen und ihr Können noch nicht so gut einschätzen können, kann im Anblick schwindelnder Abgründe plötzlich gar nichts mehr gehen. Dann, rät Albert, sollte man versuchen, die Angst durch bewusstes Handeln in den Griff zu bekommen.
Erst einmal ruhig zu atmen, sich völlig darauf konzentrieren. Dann ist oft ein fester Rhythmus hilfreich: Gucken – einatmen – Griff fassen – ausatmen. Gucken – einatmen – Tritt antreten – ausatmen. "Und wenn jemand anderes bei einem bleibt und einen anweist – ›Hier kannst Du hingreifen! Und guck mal, dort ist ein bombenguter Tritt‹ – hilft das natürlich noch viel mehr."
Trainingsplan zum sicheren Beherrschen von Zweier-Kletterstellen
1. Auf die Beine kommen I
- Ziel: Die Füße belasten, die Arme entlasten
- Umsetzung: Um sich gar nicht erst anzugewöhnen, zu sehr auf die Kraft der Arme zu setzen, greifen Sie zu einem kleinen Trick: Suchen Sie sich ein kurzes, nicht allzu steiles Felsstück und zwei kleine Steinchen. Nehmen Sie in jede Hand Steinchen und klettern Sie los.
- Besonders beachten: Wenn Ihnen eines der Steinchen runterfällt, benutzen Sie wohl Ihre Hände zu stark. Zurück auf Start!
2. Auf die Beine kommen II
- Ziel: Die Füße belasten – jetzt aber richtig
- Umsetzung: Auf Reibung kann man nur mit Kletterschuhen richtig stehen? Wirklich? Probieren Sie es im einfachen Fels aus. Suchen Sie sich zwei sichere Griffe und spielen Sie mit Ihren Füßen: Mit wie wenig Sohlenfläche auf dem Fels halten Sie noch? Wie viel Kraft brauchen Sie dafür? Lösen Sie sich nun aus der starren Postition und versuchen Sie kleine Quergänge. Nutzen Sie auch kleine Tritte, verschieben Sie Ihren Schwerpunkt bewusst.
- Besonders beachten: Merken Sie beim Reibungstreten einen Unterschied? Mit hängender Ferse geht es einfacher? Richtig!
3. Von nun an geht’s bergab
- Ziel: Sicherheit beim Absteigen gewinnen
- Umsetzung: Klettern Sie ein kurzes Felsstück erst mit dem Gesicht zur Wand ab. Geht, ist aber schwierig, weil Sie nur wenig sehen? Probieren Sie es nun seitwärts. Der Wechsel klappt? Prima, nun probieren Sie es taloffen!
- Besonders beachten: Horchen Sie beim Abklettern in sich hinein: Sind Sie der Unerschrockene, Taloffene? Oder fühlen Sie sich seitwärts doch sicherer?