INTERVIEW

Nicolas Hojac im Interview: So ist es, den besten Freund am Berg zu verlieren

Nicolas Hojac gehört zu den besten Bergsteigern der Schweiz. Er hat mit Adrian Zurbrügg Eiger, Mönch und Jungfrau in 13 Stunden und acht Minuten überschritten. Im Interview spricht er über Todesangst und wie es ist, seinen besten Freund am Berg zu verlieren.

Titelbild Hojac
Sportklettern vor prima Kulisse: Für die spektakuläre Gletscherlandschaft um sie herum hatten Nicolas Hojac (rechts) und Andreas Zurbrügg bei ihrem Rekordversuch am Eiger, Mönch und Jungfrau keinen Blick.© MAMMUT

Nach dem Berg ist vor dem Berg. Deswegen traf sich Andreas Haslauer mit Nicolas Hojac zwischen der Speed-Begehung von Eiger-Mönch-Jungfrau und Hojacs Expedition zum Shivling, dem indischen Matterhorn. Nicolas Hojac ist im Gespräch kein Entertainer wie Reinhold Messner, kein Gaudi-Bursche wie Dani Arnold und auch kein Geschichtenerzähler wie Hans Kammerlander.

Er könnte vielmehr auch Strategieberater bei einer Unternehmensberatung sein. Egal, was der Schweizer Bergsteiger macht, er geht alles sehr systematisch an, wägt ständig Risiko und Ertrag ab. Deswegen gehen seine Pläne auch auf.

Nicolas Hojac im BERGSTEIGER-Interview

BERGSTEIGER: Herr Hojac, normale Menschen, die im Juli Geburtstag haben, laden Freunde und Familie ein, meist wird Kaffee getrunken, dann gegrillt.

Nicolas Hojac: So wollte ich meinen 30. Geburtstag auch feiern. Dann kam die Arbeit dazwischen. Eigentlich wollte ich an dem Tag frei haben, der Juni war aber zu heiß für mein Projekt. Mitte Juli war es perfekt: nicht zu viel blankes Eis, fast schneefreie Grate.

Laut NZZ sind Sie auf dem besten Weg, wie Ihr Ex-Partner Ueli Steck eine Legende zu werden.

Obwohl Ueli Speed-Bergsteiger war, war ihm die Zeit fast immer egal. Was für mich wichtiger ist: dass ich bei der Rekordbegehung ganz oft an ihn gedacht habe. Ich weiß, er schaut im Himmel auf Adrian und mich herab, freut sich, dass wir unserer Ideallinie gefolgt sind.

Wie lange würden Hobby-Kraxler für so eine Strecke brauchen?

Wenn sie gesund und fit sind, schaffen sie es in vier, fünf Tagen.

Was ist der Unterschied zwischen einem Gardasee-Wanderer und Ihnen?

Dass ich voll am Anschlag war. Ich esse fast nichts, trinke fast nichts. Für die 1800 Höhenmeter bergab von der Rottalhütte haben wir 52 Minuten gebraucht. Andere brauchen dafür einen halben Tag.

Sie haben nichts gegessen?

Zehn Energie-Gels, Wasser haben wir zwischendrin aufgefüllt. Natürlich habe ich in den Tagen zuvor Kohlenhydrate in mich reingestopft: Pasta, Kartoffeln – und Chips und Süßigkeiten für die Seele. Schließlich warteten immerhin 4700 Höhenmeter auf uns.

Was hatten Sie dabei?

Pickel, Steigeisen, Klettergurt, vier Express-Karabiner, drei Schraub-Karabiner, eine Bandschlinge, zwei Eisschrauben, ein 30-Meter-Seil.

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Nicolas Hojac über neue Kapitel seiner Karriere

Klingt verwegen. Aber waghalsige und riskante Manöver sind ja das Kerngeschäft Ihres Sponsors, ein Dosen-Konzern. Seit 2020 sind Sie dort unter Vertrag. Hat sich dadurch für Sie etwas verändert?

Für mich ist das ein bisschen wie ein moderner Ritterschlag. Ich gehöre nun zu einem Sponsor, der Fußballer wie Neymar, Ski-Götter wie Marcel Hirscher und Surf-Champions wie Robby Naish unter Vertrag hat. Kaum war ich dort, klingelte schon das Telefon. Jon Griffith, ein Filmer aus Chamonix, fragte mich, ob ich nicht bei einem Film mit Alex Honnold mitwirken möchte. Was für eine Frage! Alex ist ein Held, der durch seine Free-Solo-Klettertouren bekannt geworden ist.

2017 durchstieg Honnold ohne technische Hilfsmittel und ohne jegliche Sicherung die Route "Freerider" am El Capitan im Yosemite-Nationalpark.

Worauf Tommy Caldwell, selbst Ausnahme-Kletterer und Autor, die Durchsteigung Honnolds als "die Mondlandung des Free-Solo-Kletterns" bezeichnete.

Was kann Honnold, das Sie nicht können?

Es gibt niemanden auf der Welt der mit diesen unglaublichen, fast unmenschlichen Herausforderungen am Berg besser umgehen kann als er. Und mit der Angst. Vier Wochen lang war ich mit ihm in den Alpen unterwegs. Der Typ hat schlichtweg einfach keine Angst.

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Im wahrsten Sinne des Wortes eine Gratwanderung absolvierten die beiden Schweizer Nicolas Hojac und Adrian Zurbrügg im Juli bei ihrem Speed-Projekt » Swiss Skyline«, hier an der 3557 Meter hohen Mathildespitze zwischen den Gipfeln von Mönch und Jungfrau.© MAMMUT

Viele Kritiker sind überzeugt dass er sich selbst irgendwann umbringe.

Das sieht er nicht so. Teilweise kann ich ihn auch verstehen. Er trainiert und lebt seinen Sport so hart und akribisch seit 25 Jahren wie kein Zweiter.

Im Film gibt es eine Szene, als Sie vor einem Felsvorsprung bei der Kleinen Zinne in den Dolomiten sitzen und Alex Honnold vor Ihren Augen die "Gelbe Mauer" hochklettert, ohne Seil, ohne Sicherung, eben "Free Solo". Ein Ausrutscher und Honnold liegt ein paar hundert Meter weiter unten.

In dem Moment konnte ich selbst nicht hinsehen. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gemacht habe, ich glaube ich habe in dem Moment meine Mails gecheckt. Im Film sagt er es ja selbst: das, was er so macht, ist für die meisten Menschen ein absoluter Albtraum. Er hingegen fühlt sich in seiner Komfortzone pudelwohl.

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Nicolas Hojac über Ueli Steck: Er war wie ein großer Bruder für mich"

So wie auch Ueli Steck. Mit ihm halten Sie den Seilschafts-Speedrekord am Eiger: drei Stunden und 46 Minuten. Am 30. April 2017 verunglückte Steck am Everest. Wie oft denken Sie an ihn?

Wir waren nicht nur Seilpartner, er war ein richtig guter Freund, mein Mentor, wie ein großer Bruder. Wenn ich eine Frage hatte, Ueli hatte eine Antwort parat. Oft will ich ihm eine Nachricht schicken, bis ich merke: Er ist ja gar nicht mehr da. Seinen Tod habe ich bis heute nicht verarbeitet.

Sie sagten mal, dass Sie für die Eiger-Nordwand nicht mal 50 Prozent Ihres Könnens abrufen mussten.

Meine bergsteigerischen Fähigkeiten werden auf vielen Routen nicht so stark gefordert. Früher war der 8. Schwierigkeitsgrad eine herausragende Leistung, heute schafft das jeder Familienvater, der zwei Mal in der Woche in die Halle klettern geht. Die Grenzen des Möglichen verschieben sich. Der Unterschied zu uns Profis ist, dass wir oft besser einschätzen können, wann wir umkehren müssen.

Und wann ist der richtige Zeitpunkt?

Wenn die Schneeverhältnisse, Hangneigung oder der Wind nicht passen, steige ich ab. Basta. Es ist auch schon oft vorgekommen, dass die Rahmenbedingungen alle stimmten, ich aber ein schlechtes Bauchgefühl hatte. Ein Weitergehen macht dann keinen Sinn. Umkehren war für mich noch nie ein Problem.

"Wahrscheinlich bin ich öfter umgekehrt, als ich oben auf dem Gipfel war", haben Sie mal gesagt.

Sobald die Situation nur ansatzweise außer Kontrolle gerät, ziehe ich die Reißleine. Wie in China auf dem Xuelian Feng, als ich höhenkrank wurde. Ich konnte weder essen noch trinken. Egal, ob ich dafür monatelang trainiert habe oder was ich dafür alles investiert habe: Mir ist mein Leben zu kostbar, um es für irgendeinen Gipfel zu riskieren. Am Ende steigen wir auch nur auf einen Steinhaufen.

Was ist für Sie eine Niederlage?

Die einzige Niederlage, die man als Bergsteiger hat, ist, dass man im Sarg zurückkommt. Ich würde mich alles andere als risikofreudig bezeichnen. Wenn ich etwas suche, dann die Herausforderung, nie die Gefahr. Denn wenn ich unter Adrenalin stehe, mache ich Dinge, die ich nicht mehr zu 100 Prozent beherrschen kann. Deswegen versuche ich, so gut wie kein Adrenalin auszuschütten.

Hans Kammerlander sagt, ihm seien nur Daniel Wellig, Konrad Auer und Reinhold Messner geblieben. Alle anderen Bergkameraden leben nicht mehr.

Bei uns gibt es keine Fangnetze wie bei Skirennen, keine Reifenstapel wie in der Formel 1. Ich selbst habe mit Julian Zanker einen Freund in der Eiger-Nordwand verloren.

"Julian ist gestürzt", erzählte seine Freundin, die Bergführerin Carla Jaggi, in der "Zeit". Er sei mit einem Seil gesichert gewesen, das ihn auch auffing. "Aber beim Sturz muss er sich mit dem Steigeisen verhakt haben, wodurch es ihn in der Luft drehte. Er schlug mit dem Helm auf dem Fels auf. Julian war sofort tot."

Eine Stelle, an der ich nie gedacht hätte, dass sie so gefährlich sein könnte. Die Chance, dass man angeseilt sterben kann, hätte ich nicht für möglich gehalten. Das zeigt, dass es nie hundertprozentige Sicherheit am Berg gibt, erst recht nicht bei Speed-Begehungen. Da muss man höllisch aufpassen, dass man bei dem hohen Tempo nicht auch noch ein höheres Risiko eingeht.

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So viel Zeit muss sein: Nach getaner Rekord-Tat fallen sich Nicolas Hojac (links) und sein Kompagnon Adrian Zurbrügg erstmal in die Arme.© MAMMUT

Mit Adrian Zurbrügg haben Sie es im Wallis auch geschafft.

18 Viertausender in Rekordzeit zu besteigen: 13 Stunden und 39 Minuten. Wir haben uns vorgenommen, die Tour so sauber als möglich zu klettern. Als jedoch einmal beim Abseilen unser Seil im Fels hängen blieb, haben wir es durchgeschnitten. Sonst wäre der Zeitverlust zu groß gewesen.

War Bergsteigen eine schwerfällige Sache mit viel logistischem Aufwand, so bekam es durch Steck ein neues Gesicht, schrieb der Journalist Dominik Osswald. Bergsteigen funktioniere leicht und schnell, das Material auf ein Minimum reduziert.

Genau das habe ich von ihm gelernt: sich wie eine Gams in den Bergen zu bewegen, zu handeln, zu denken. Kein Mensch ist mit Steigeisen die Berge hochgerannt – bis Ueli kam. Er hatte ja keine Zeit. Als wir unseren Rekord an der Eiger-Nordwand aufstellten, sagte er zu mir am Einstieg: "Wir dürfen heute keine Zeit lassen. Ich habe um 18 Uhr in Münsingen einen Vortrag in einer Bank." Er meinte das ernst.

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Nicolas Hojac: "Angst ist kein guter Ratgeber"

Hat Ihre Freundin Angst um Sie?

Sie gewöhnt sich daran. Wenn ich mal wieder länger auf Expedition bin, schreiben die Familienmitglieder, die mit mir gesprochen haben, in die WhatsApp-Gruppe, dass es mir gut geht.

Und Sie? Haben Sie Angst?

Angst ist beim Bergsteigen kein guter Ratgeber. Wer Angst hat, ist schon einen Schritt zu weit gegangen.

Zum 14. Geburtstag haben Sie sich einen Viertausender gewünscht.

Meine Eltern erfüllten mir den Wunsch: Ich durfte mit einem Bergführer auf das Lagginhorn im Wallis. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich mich das machte, obwohl ich beim Abstieg kotzen musste. Und so ging es weiter: zum 15. Geburtstag das Aletschhorn, zum 16. den Dent Blanche. Mit 18 Jahren stieg ich das erste Mal durch die Eiger-Nordwand, dann folgten Matterhorn und die Grandes Jorasses-Nordwand.

Was wollen Sie noch erreichen?

Eine Frage, die ich mir seit vergangenem Jahr kaum noch stelle. Mein Vater ist im Urlaub plötzlich verstorben, Herzinfarkt, kurz nach seiner Pensionierung, mit 65. Meine Mutter und er haben die schönsten Pläne geschmiedet. Seitdem lebe ich viel bewusster. Wenn ich etwas machen will, dann mache ich es. Ich will beispielsweise die Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau innerhalb der 24-Stunden-Marke schaffen. Ueli und Stephan Siegrist haben das 2004 in 25 Stunden geschafft. Jede Wand ist ja für sich eine sportliche Zweitagetour.

Was würden Sie Steck heute sagen wollen?

Dass ich ihn jeden Tag vermisse. Und dass wir jeden Tag das machen konnten, wofür unser Herz brannte: auf Berge steigen. Das hat Ueli jeden Tag gemacht, das mache ich heute jeden Tag. Dafür bin ich unendlich dankbar. Andererseits habe ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen: Ich lebe ja noch.

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Zur Person: Nicolas Hojac

Der 30-Jährige gehört zu den führenden Alpinisten der Schweiz. Aufgewachsen in der 2000-Seelen-Gemeinde Niederscherli bei Bern, lernte er erst mit 14 bei einem Sprachaufenthalt im Unterwallis die Berge lieben – vier Jahre später durchstieg er die Eiger-Nordwand, wenig später Matterhorn und Grandes Jorasses-Nordwand.

Seit dem Seilschafts-Speedrekord mit Ueli Steck an der Eiger-Nordwand 2015 konzentriert er sich auf das Speed-und Expeditions-Bergsteigen.

Nicolas Hojac Poträtbild
Speed-Kletterer Nicolas Hojac.© MAMMUT

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