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Die Bartgeier sind zurück in den Ostalpen

Bartgeier hatten einen schlechten Leumund – zu Unrecht. Vor mehr als hundert Jahren wurden die Aasfresser in den Alpen ausgerottet. Nun sind die wahren Könige der Lüfte auch in Deutschland zurück. "Wally" und "Bavaria" machten den Anfang.

Rund 300 Bartgeier gibt es wieder in den Alpen - dank eines Wiederansliedlungsprojekt.
Rund 300 Bartgeier gibt es wieder in den Alpen - dank eines Wiederansliedlungsprojekt.© Adobe Stock / petrsalinger

Seit 35 Jahren gibt es in Europa Projekte zur Auswilderung von Bartgeiern, 2021 startete erstmals in den bayerischen Alpen ein Versuch, und zwar im Nationalpark Berchtesgaden.

Voller Erfolg bei Auswilderung von Wally und Bavaria

"Das Projekt war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg", schwärmt Toni Wegscheider aus Schönau. Der Ökologe und Wildtierbiologe hat sich zehn Jahre lang mit Steinadlern sowie den gefährdeten Auer- und Birkhühnern beschäftigt. Jetzt hat er eine neue Leidenschaft: Wally und Bavaria. Die zwei Bartgeier-Weibchen sind in Kooperation des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) und des Nationalparks am 10. Juni 2021 ausgewildert worden, und Wegscheider hatte das maßgeblich vorbereitet.

Er war es, der am Fuße des Knittelhorns auf halber Höhe zur Reiteralpe eine "Traumnische" für die Bartgeier-Jungtiere fand. "Zwanzig Faktoren wie etwa Zugänglichkeit, Wetterschutz, Einsehbarkeit müssen für so einen Platz passen, wir haben circa 19 erfüllt."

Bartgeier-Auswilderung
Toni Wegscheider ist Biologe und Leiter des Bartgeier-Projekts beim LBV Bayern.© Landesbund für Vogelschutz/Hansruedi Weyrich

Bartgeier sind Einzelgänger

Natürlich war der Biologe beim Aussetzen der drei Monate alten Vögel dabei. Ranger hatten die Bartgeier-Weibchen in Holzkästen zu ihrer Interims-Behausung hochgetragen. Die noch spannendere Zeit begann für Wegscheider in den Wochen danach. Würden die Tiere die Nische annehmen und tatsächlich ausfliegen?

"Beide sind flügge geworden, und sie waren wahnsinnig harmonisch miteinander", erzählt er. Denn eigentlich seien Bartgeier Einzelgänger, da könne es schon mal ruppig zugehen. Nicht so Wally und Bavaria. "Wie beste Schwestern", nennt Wegscheider ihr Verhalten im Rückblick.

Bartgeier tragen
Über steile Wege wurden die beiden Bartgeier zu ihrer Nische getragen, wo sie freigelassen werden.© Landesbund für Vogelschutz/Hansruedi Weyrich

Von Berchtesgaden nach Wien und zum Dachstein

Exakt einen Monat nach der Auswilderung traute sich Bavaria zum ersten Ausflug, Wally wartete noch ein paar Tage länger. Bavaria war es schließlich auch, die sich am 17. Oktober aufmachte und bis ans östliche Ende der Alpen unweit von Wien flog, wie der LBV dank eines GPS-Senders am Gefieder des Vogels mitverfolgen konnte.

Bavaria drehte danach am Dachstein seine Kreise, dooch dann fiel der Sender aus. "Das kommt immer mal vor", sagt der Biologe. Inzwischen funkt der Sender wieder, Bavaria ist in der Hochschwabgruppe in der Steiermark unterwegs. Wegscheider bittet dennoch alle Bergsteiger, die einen Bartgeier sehen, sich beim LBV zu melden.

Der Sender am Bartgeierweibchen Wally
Über den GPS-Sender wird klar, wo Wally gerade ist.© Landesbund für Vogelschutz/Hansruedi Weyrich

Viel Futter an der Watzmann-Ostwand

Wally ging im Gegensatz zu Bavaria "voll auf Nummer sicher", erzählt er. Sie blieb wochenlang im Watzmann-Gebiet, "weil da einfach Futter war". Bartgeier könnten von einer toten Gams gut drei Wochen lang leben. Sie lassen die Knochen aus bis zu 80 Metern Höhe auf Fels fallen, um sie dann klein genug schlucken zu können.

"Nach 140 Jahren konnte man wieder einen Bartgeier vor der Watzmann-Ostwand kreisen sehen", schwärmt Wegscheider.

Erneute Auswilderung im Juni geplant

Nun ist Wally weitergeflogen und treibt sich im Tennengebirge herum, wo sie in einer Rinne Aas gefunden hat. Das Bartgeier-Projekt, das von der "Stiftung Pro Bartgeier" koordiniert wird, geht im Nationalpark Berchtesgaden auch in diesem Jahr weiter und soll bis 2030 laufen. Die Jungtiere sind gerade in einem der 40 beteiligten Zoos geschlüpft und sollen erneut Anfang Juni ausgewildert werden. Die Traumnische steht für sie wieder bereit.

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Alle Infos zum Ansiedlungsprojekt Bartgeier

Der Bartgeier wurde in deutschen Landen oft als "Lämmergeier" bezeichnet, was aber wider seine Natur ist. Denn Bartgeier sind harmlose Aasverwerter und keinesfalls Beutegreifer. Im 18. Jahrhundert war der imposante Vogel noch weit verbreitet, doch eine erbarmungslose Jagd führte dazu, dass er Anfang des 20. Jahrhunderts schließlich in den Alpen ausgerottet war.

Das heute noch laufende Projekt zur Wiederansiedlung des Bartgeiers wurde 1978 in Morges am Genfersee gegründet. Fachleute aus Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland und der Schweiz beschlossen damals, dass statt den raren Wildtieren in Europa junge Bartgeier aus Zoos und Tierparks für die Auswilderung genutzt werden sollen. Die "Stiftung Pro Bartgeier" koordiniert das Projekt.

Knapp 90 Prozent der ausgesetzten Bartgeier überleben das erste Jahr in der Wildnis, eine erfreuliche Quote. Inzwischen wurden bis 2021 mehr als 230 junge Bartgeier ausgewildert, die sich nach einigen Jahren selbst vermehren. Die Population in den Alpen beträgt derzeit etwa 300 Tiere.

Hinweis: Das Bartgeier-Weibchen "Wally" hat die Auswilderung leider nicht überlebt und wurde 2022 tot aufgefunden.
Zwei Bartgeier in den Alpen
Zwei Bartgeier sind in den Allgäuer Alpen unterwegs, alpenweit gibt es ungefähr 300 Individuen.© Basti Heckl - stock.adobe.com

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