Wanderung Dolomiten: Sasso Bianco
Ausguck über dem Val Pettorina. Im Winkel zwischen dem oberen Cordévoletal und dem Val Pettorina erhebt sich der »Weiße Stein« (Sasso Bianco), ein erstklassiger, aber nur wenig besuchter Aussichtspunkt. Das liegt möglicherweise auch daran, dass der Aufstieg recht lang und steil ist.
Jeder kennt das Sprichwort von dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht. Genau umgekehrt verhält es sich manchmal in den Bergen, wo man vor vielen schönen Bäumen – pardon: Gipfeln – den einen Berg übersieht. So einer ist der Sasso Bianco, felsig zwar, wie sein Name schon verrät, auch keineswegs winzig, aber halt im großen steinernen Orchester der Dolomiten leicht zu übersehen. Dabei bietet die Tour auf den »Weißen Stein« vielfältige Eindrücke und ein großes Panorama. Und dazu einen Blick zurück in die Vergangenheit, 250 Jahre weit etwa, ins Jahr 1771, als am Monte Forca nach schweren Regenfällen zwei verheerende Bergstürze abgingen, die mehrere Weiler um Álleghe zerstörten und viele Menschenleben forderten. Die Felstrümmer stauten den Cordévole zum Lago d’Álleghe (966 m). Der bildet zusammen mit der Civetta-Nordwestwand ein besonders schönes Dolomitenmotiv, das schon Paul Grohmann bezauberte: »Eine Idylle in den Dolomiten, wie man sie in dieser Verbindung von Lieblichkeit und Großartigkeit in der ganzen Ausdehnung der Gebirgsgruppe nicht wieder findet.«
Sterbende Welt?
Der Aufstieg zum Sasso Bianco verläuft durch altes Bergbauernland. Längst verlassene Almhütten, verbuschende Weiden und Wege, die sich die Natur zurückholt, künden vom Verschwinden einer uralten Kultur, die mit der Transhumanz vor Jahrtausenden ihren Anfang nahm. Nicht zu übersehen ist allerdings auch, dass auf mancher Alm wieder Leben einzieht. Es ist die Internet-Generation, die hier oben nicht arbeiten will, sondern vielleicht eine Gegenwelt zur Allgegenwart des Digitalen sucht – echtes Leben. Eine Modeerscheinung – oder mehr? Der schönste Weg zum Sasso Bianco startet im WeilerCaracoi Agoin (1256 m); am Parkplatz weist bereits ein Schild nach Bramezza. Man folgt dem markierten Wanderweg in den Wald, quert dann den Ru dei Molin (Mühlenbach). Wenig weiter mündet der Pfad in die Zufahrt nach Bramezza (1452 m) in schöner Lage mit freier Sicht auf die Civetta. Das Dörfchen hat schon bessere Zeiten gesehen, die meisten Häuser verfallen, fast alle Bewohner sind ins Tal gezogen. Da und dort regt sich neues Leben, wird renoviert, in die Zukunft investiert. Hinter Bramezza setzt sich das schmale Sträßchen bergwärts fort; eine Schleife lässt sich abkürzen (Hinweis »Casera Bur«). Im weiteren Verlauf wird der neu angelegte, breite Weg noch steiler, zuletzt ist er sogar zementiert, was den Aufstieg etwas leichter macht. Das Steilstück endet an der Abbruchkante des Bergsturzes von 1771; die Einladung zur Pause (Tisch, Bänke) wird man gerne annehmen (1745 m).
Zum Gipfel
Der Weiterweg – nun weniger steil – verläuft zunächst im Wald, bietet dann aber zunehmend Aussicht, vor allem nach Süden auf die Pala. Hinter dem Monte Forca (2013 m), der südseitig umgangen wird, zweigt links der Zugang zum Rifugio Sasso Bianco (1840 m) ab, das sich einer idyllischen Lage auf einer Hangterrasse erfreut, inmitten von zahlreichen wettergebräunten Heuhütten (fienili). Von rechts mündet ein Zustieg von Caracoi Cimai (1364 m) herauf. Der Gipfelweg peilt den Sasso Nero (2134 m) an, der seinen Namen absolut zu Recht trägt und deutlich macht, dass man sich auf eine geologische Naht zubewegt. Sie trennt (dunkles) Gestein vulkanischen Ursprungs von den Sedimenten, aus denen der Sasso Bianco aufgebaut ist. Den »Schwarzen Stein« umgeht der Gipfelsteig rechts in einen Grassattel. Anschließend geht’s erneut steil aufwärts, zunächst im Gras, dann über einen Schrofenriegel (Drahtseil). In der folgenden Wiesenmulde gabelt sich die Route. Die rechte Spur führt zum (zerstörten) Gipfelkreuz an der Ostkuppe, die linke über steile Grashänge in den Sattel zwischen Haupt- und Ostgipfel und links zum höchsten Punkt des Sasso Bianco (2407 m).
Aussicht
Im Panorama, das mit nicht weniger als 30 Dolomiten-Dreitausendern aufwartet, dominieren zwei ganz Große: die Marmolada (3343 m) mit ihrer Südwand, und die Civetta (3220 m) mit der ältesten Dolomiten-Kletterroute im VI. Schwierigkeitsgrad (1925). Emil Solleder und Gustav Lettenbauer durchkletterten im Sommer 1925 als erste die rund 1000 Meter hohe Nordwestwand. »Die gesamte Kletterei hatte volle fünfzehn Stunden gedauert; der Dachkamin, in dem heute oft mehr als ein Dutzend Haken stecken, war von Emil Solleder mit nur zwei (!) Haken gemeistert worden. Die Schwiergkeiten, die beim Erklettern der Civettaswand überwunden werden mußten, übertrafen alles, was bisher als das ›Letzte im Fels‹ galt. Der in der allgemeinen Schwierigkeitsskala gebrauchte fünfte Schwierigkeitsgrad ›Überaus schwierig‹ genügte nun nicht mehr. Man brauchte noch eine Stufe…« (Hubert Peterka in »Das große Dolomi-tenbuch«). Der Abstieg erfolgt auf dem Anstiegsweg oder via Giardógn (siehe Kasten).
Region
Touren-Charakter
Lohnende Gipfeltour auf teilweise sehr steilen Wegen, großes Panorama. Im Frühsommer üppige Flora, interessante Geologie
Ausgangspunkt
Caracoi Agoin (1256 m)
Endpunkt
Caracoi Agoin (1256 m)Route
Gesamt 6 Std.; Caracoi Agoin - Rastplatz Bergsturzabbruch
Höchster Punkt
Sasso Bianco (2407 m)Information
Markierung Ordentlich markierte Wege, zum Gipfel hin einzelne Steinmännchen und rote Punkte
Abstiegsvariante über Giardógn
Aus dem Sattel im Rücken des Monte Forca kann man alternativ via Giardógn (zahlreiche Fienili) nach Caracoi absteigen. Ordentlich markiert, ab Giardógn geschotterter Fahrweg. In der letzten Kehre oberhalb von Caracoi Cimai rechts hinunter zur Straße, die von Caracoi Agoin heraufkommt. Mit ihr zurück zum Ausgangspunkt, etwa 2.30 Std. vom Gipfel.
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Sicher unterwegs: Ein glücklicher und erfolgreicher Tag in der Natur setzt nicht nur die richtige Vorbereitung,
sondern auch auch verantwortungsbewusstes Handeln auf Tour voraus. Das solltet ihr bei der Tourenplanung immer beachten.