Wandern Harz: Zum stillen Stausee im Wippertal
Auf dem Naturistenstieg. Es ist eine eindringliche Erfahrung, der freien Natur, Wald, Wiese, Wasser nackt zu begegnen. Brennnesseln und Brombeeren lassen uns rasch unsere Verletzlichkeit spüren. Aber wesentlicher ist: Es kann eine wahrhaft mystische, uns verwandelnde Erfahrung sein.
Ein paar Worte vorab
Unser gesamter Körper kann frei atmen. Schon die leiseste Luftbewegung spüren wir an uns ringsum. Selbst an einem heißen Sommertag bringt das Verdampfen von Schweiß auf ganzer Hautfläche ungeahnt effektive Kühlung und macht auch Hitze zum reinen Vergnügen. Beim Schwimmen streichelt uns das Wasser frei von der Nasenspitze bis zu den Zehen. Und wenn wir wieder herauskommen, dann brauchen wir keine Umziehakrobatik und sind im Nu wieder trocken. Wir können uns ganz besonders intensiv als Teil der Natur erleben.
Zu solch einer paradiesischen Erfahrung gehört das passende Umfeld. Kein Problem gibt es hierzulande an Orten, wo wir nach Lage der Dinge erwarten können, allein zu sein. Das textilfreie Baden und Sonnen gehört dann zu unseren Bürgerrechten, schon seit der kaiserzeitlichen Badeverordnung. Auch unter gleichgesinnten Menschen, von denen es immerhin Millionen gibt, ist das einfach. Weil unter ihnen über sonstige Unterschiede hinweg ein Konsens besteht. Dazu gehört vor allem Respekt, in einem wechselseitigen friedvollen Geben und Nehmen. Und die Hoffnung, dass diese Einstellung von den anderen geteilt wird. Aber es ist eine Hoffnung, die ansteckend wirkt und unsere guten Seiten stärkt. Diese Naturerfahrung ist nicht nur eine Sache für Gewinner/innen von Schönheitswettbewerben. Jeder darf nackt baden und bekennt sich damit zugleich zu seinem Aussehen, alle Besonderheiten und im Laufe der Zeit eingefangenen Spuren und Narben inklusive. Aber viel wichtiger als unser Aussehen bleibt sowieso unser Handeln und unser Lebensgefühl. Im Übrigen gehört zu dem wechselseitigen Respekt das Recht am eigenen Bild. Fotografieren oder Filmen ohne Einverständnis der Abgebildeten ist nicht nur respektlos, sondern nach dem Buchstaben des Gesetzes verboten.
In einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebensgewohnheiten nebeneinander kann sich diese Form der Naturerfahrung allerdings reiben. Mit religiös begründeter Tabuisierung von Nacktheit etwa. Oder mit unreflektiert übernommener Prüderie. Mit Geschäftstüchtigen auch, die daraus Geld machen wollen. Und mit Voyeuren, die mit ihrem Tun die Privatsphäre anderer verletzen. Deshalb gehört zum Nacktsein in der Natur Fingerspitzengefühl. Dafür, wo und wann es geht, und wo und wann nicht ...
In der DDR war es besonders in ihren letzten Jahren eine Form von Protest gegen die spießigen Vertreter des Systems, an Seen und Baggerseen und Stränden gemeinsam nackt zu baden. Auch die BRD hatte eine entsprechende breite Bewegung. So gibt es heute viele Orte, an denen Nacktsein auch neben den organisierten Geländen der Naturistenvereine öffentlich möglich und üblich ist.
Im Harz ist besonders die Wippertalsperre und ihre weithin unbesiedelte Umgebung solch ein Gebiet. Es ist offen für jeden und jede, immer unter der stillschweigenden Voraussetzung des wechselseitig respektvollen Verhaltens. Zur Vermeidung von Konflikten mit Andersdenkenden wird an Wegen angekündigt: »Willst du keine Nackten sehen, dann darfst du hier nicht weiter gehen.«
Gehen wir trotzdem weiter, dann ergreifen wir zur schönen Sommerszeit die Chance auf eine mystische Erfahrung. Siehe oben. Und besser auch rechtzeitig an den Sonnenschutz denken ...
Naturistenstieg zum Wippersee
Wir gehen an der Wippertalsperre unterhalb der Staumauer links den Forstweg in den Wald. Er führt bald nach rechts. Etwa 300 Meter nach der Kurve biegen wir scharf rechts in einen Weg ein und gelangen rasch zum Bergkamm mit dem offiziellen (2017 aktuell demolierten) Einstieg in den »Naturistenstieg«. Dieser führt zunächst als breiter Weg in lichtem Kiefern- und später Eichenwald westwärts. Er passiert eine Wiese und leitet dann, zuletzt an einer schroffen Klippe vorbei, sanft hinab zum Ufer des Wippersees. Der Stausee dient nur dem Hochwasserschutz. Baden ist überall zulässig. Ein Uferpfad führt zu einem Hüttchen und weiter zu verschiedenen, unterschiedlich komfortablen Plätzchen am Wasser.
Zurück zum Einstieg
Noch kurz vor dem Erreichen des Ufers leitet ein anderer Weg am Talhang ostwärts weiter hinauf auf den großen Bergsporn. Nach dem Passieren seiner Höhe (Pavillon, links Minifelsen) bieten sich, am besten von einer Wegabzweigung, bequeme Abstiege zu morgensonnigem flachem Ufer. Der Hangweg führt schließlich wieder nach links weiter hinauf, zurück zum »Einstieg«, und zur Staumauer.
Weitere ähnliche Wandermöglichkeiten
Auch unterhalb des Campingplatzes Dankerode gibt es im und um das Wippertal viel Gegend, wo man nicht erwarten muss, jemandem zu begegnen (siehe auch www.wippra-harz.de/naturistenstieg). Wenn sich neben dem naturistischen geselligen Baumelnlassen der Seele auch mal zwei Menschen zu zärtlichem Tun ins Hinterland verkrümeln, dann ist ihnen auch dazu respektvoll Ruhe zu gönnen. Schließlich sang schon im fernen Mittelalter Walther von der Vogelweide mit Augenzwinkern:
Unter der Linden an der Heide,
wo unser zweier Bette was,
dort mugget ihr finden, schone beide,
gebrochen Bluomen unde Gras.
Tandaradei, Tandaradei.
Schone sang die Nachtigall
Auch darin kann ja mystisches Erleben liegen. Mit geschlossenen und mit offenen Augen.
Region
Touren-Charakter
Bequeme Rundwanderung auf Naturwegen, die sogar vor der Saison gepflegt werden
Ausgangspunkt
Parkplatz unterhalb der Wippertalsperre-Staumauer
Für die Richtigkeit und Aktualität der Angaben kann trotz größtmöglicher redaktioneller Sorgfalt keine Haftung übernommen werden.
Insbesondere bei GPS Daten können Abweichungen nicht ausgeschlossen werden.
Sicher unterwegs: Ein glücklicher und erfolgreicher Tag in der Natur setzt nicht nur die richtige Vorbereitung,
sondern auch auch verantwortungsbewusstes Handeln auf Tour voraus. Das solltet ihr bei der Tourenplanung immer beachten.