Klettersteig Dolomiten: Der Sentiero Miola
Paradies am Südrand der Dolomiten. Die Pale di San Lucano stehen zwar ganz im Schatten der großen Pala, für ein echtes Bergabenteuer ist das Bergmassiv mit seinen wilden Gräben und 1000-Meter-Felswänden aber allemal gut. Aber Achtung: Das wird garantiert kein Spaziergang!
Ganz hinten, wo das Tal keines mehr ist, sondern eine richtige Schlucht, gibt’s einen schönen Echowinkel. »Sausega, sausega« rufen da die senkrechten Wände zurück. Besausega heißt der Schlund, und er ist so einsam und weltabgeschieden, dass man schon auf die Idee kommen kann, mit den Steinen rundum zu reden. Keine Menschenseele weit und breit, nur ein paar Viecher. Die Schlangen – Vipern und (harmlose) Nattern – verschwinden gleich im Unterholz und die Blindschleiche, kurz aufgehoben, windet sich ein bisschen, weil sie in Ruhe gelassen werden möchte. Bloß die Mücken – zsss! – lieben mich, orten Schweiß und pulsierendes Blut unter der Haut. Über der Seconda Pala zieht ein Adler seine Kreise, die Aufwinde über dem Valle di San Lucano nutzend. Die helfen uns wenig auf diesem Weg durch die Pale di San Lucano, den vermauerten kleinen Nachbarn der Pale di San Martino. Es ist ganz schön warm, die Sonne steht schon recht hoch über dem Cordévole-Tal, die Spur steigt steil an, verliert sich immer mal wieder im Gras. Dafür schauen überall weiße Sterne aus dem Grün: Edelweiß.
Ein »Hotel« ganz oben in den Bergen
Das liegt auch daran, dass der Homo ludens hier zu den absolut seltenen Spezies zählt, die touristische Infrastruktur aus einem einzigen Weg, dem Sentiero Miola, und einer Biwakschachtel besteht. Die kam uns fast vor wie ein Vier-Sterne-Hotel mitten in der Wildnis: blitzsauber (auch die Wolldecken), mit einer kleinen Kochecke; Spaghetti, Merlot und Grappa im Schrank. Und mit einem Panoramafenster, durch das man hinausschaut in die Dolomiten-Wunderwelt, vielleicht mit den Mirakelfarben eines Sonnenuntergangs…
Ein Abenteuerpfad: der Sentiero Miola
Hinter den letzten Häusern von Forno di Val (635 m), beim alten Kieswerk, weist ein Schild zum Sentiero Miola. Auf einer Schotterpiste geht’s zunächst links um den Steinbruch herum, dann weist ein Schild in den Wald: hinauf! Die schmale Spur führt steil bergan, größtenteils schattig, aber zunächst noch ohne Aussicht, dann – in einer steinigen Rinne – mit Tiefblicken bis zum Grund des Valle di San Lucano. Monumentales Gegenüber ist der Agnèr (2872 m) mit seiner markanten Nordkante, aus dieser Perspektive schlicht überwältigend. Der weite Talkessel von Ágordo liegt noch im Morgendunst, trotzdem wird’s bald feucht unterm Rucksack. Nach zwei Stunden ist der erste Teilanstieg geschafft; nach einer kurzen Linksquerung mündet das Weglein in eine Minischarte (1372 m) unter den Felszacken der Pilói. Dahinter wird der Blick in den Titanenschlund des Valle della Besausega frei: wow! Wild und vermauert, senkrechte Felsen links wie rechts – scheinbar ohne Ausstieg. Mit leisen Zweifeln folgt man der Spur, die mit einigen ruppigen Auf- und Abstiegen aufwartet und immer wieder neue, faszinierende Ausblicke bietet: hinab in den Boral (so nennen die Einheimischen diese wilden Schluchten.), auf die senkrechte Mauerflucht der Seconda Pala (2340 m) und in die innerste Felsenkammer unterhalb der Forcella della Besausega. Einige exponierte, ungesicherte Passagen verlangen besondere Vorsicht, auch der letzte, kurze Abstieg in den Talgrund (ca. 1350 m).
Klettersteigeinlage gefällig?
Spuren leiten in der Schlucht aufwärts, über vom Wasser rund geschliffene Felsblöcke und Geröll bis zu einem zwischen himmelhoch aufragenden Wänden eingelagerten Firnfeld. Wie weiter? Die Antwort liefert ein Drahtseil, das nach rechts in die Felsen leitet (ca. 1510 m). Es bildet den Auftakt zu einem zwar kurzen, aber recht heftigen Klettersteig-Intermezzo. Der Einstiegskamin, senkrecht und eng, verlangt sauberes Klettern oder kräftigen Armzug, wobei ein (zu) großer Rucksack ein zusätzliches Hindernis darstellt. Zweite Schlüsselstelle der Ferrata ist ein gerade fußbreiter, fast vertikaler Riß. Nach knapp 100 Höhenmetern laufen die Sicherungen an einem steilen Wiesenhang aus, über den man gegen die Südwestwand der Cime (2296 m) ansteigt. Unter den Felsen knickt das Weglein nach rechts ab; im hohen Gras und zwischen Latschen geht’s weiter bergan in eine idyllische Talmulde und weiter an ihrem linken Rand über Felsstufen in die kleine Scharte links unter dem Corn del Bus (2071 m). Es folgt ein letzter Felsaufschwung mit leichten Kletterstellen (I), dann kommt das rote Biwak Margherita Bedin (2210 m) in Sicht – endlich! Was für ein Platz, der Alltagswelt so vollkommen entrückt, mit einem herrlichen Panorama dazu: Fanesberge, Ampezzaner Dolomiten mit den Tofane, der Hohen Gaisl, Croda da Lago, Cristallo; weiter im Uhrzeigersinn Civetta, Moiazza, Tamèr, Talvena, Schiara, Monti del Sole und schließlich große Teile der Pale di San Martino.
Abstieg nach Cencenighe
Er beginnt als Höhenweg, führt über Grasterrassen und ziemlich schmale Bänder flach hinüber zur Forcella della Besausega (2131 m), wo sich ein Prachtblick auf die breite Südwand der Marmolada auftut. Jenseits der Scharte geht’s zunächst im Geröll, dann über Wiesenhänge und zuletzt im Wald hinunter zur Malga d’Ambrosogn (1700 m, Notunterkunft). Beim weiteren Abstieg durch das Valle del Torcol führt der etwas raue Weg unterhalb der Ex-Malga del Torcol an der Cascata la Pissa, einem sehenswerten Wasserfall, vorbei. Etwas tiefer quert man auf kühner Holzkonstruktion (Drahtseilsicherung) einen tiefen Graben. Beim Weiler Pradimezzo (873 m) wird aus dem alten Almweg ein asphaltiertes Sträßchen, über das man hinabwandert nach Cencenighe (774 m).
Region
Touren-Charakter
Recht abenteuerliche Bergtour, schmale, abschnittweise auch ausgesetzte Wege; eine kurze, aber knackige Klettersteigpassage (K3-4, Set empfehlenswert). Im Sommer sehr schweißtreibend, mit einer Nacht im Vier-Sterne-Biwak traumhaft. Also etwas für romantische Seelen mit Kondition und Abenteuerlust. Ausreichend Getränke mitnehmen!
Ausgangspunkt
Forno di Val (635 m)
Endpunkt
Cencenighe (774 m)Route
Gesamt 9.30 Std.; Forno di Val - Bivacco Bedin 6.30 Std., Abstieg nach Cencenighe 3 Std.
Schwierigkeit
K3-4Höchster Punkt
Bivacco Bedin (2210 m)Information
Markierung Durchwegs ordentlich, abschnittweise etwas sparsam bezeichnet
Für die Richtigkeit und Aktualität der Angaben kann trotz größtmöglicher redaktioneller Sorgfalt keine Haftung übernommen werden.
Insbesondere bei GPS Daten können Abweichungen nicht ausgeschlossen werden.
Sicher unterwegs: Ein glücklicher und erfolgreicher Tag in der Natur setzt nicht nur die richtige Vorbereitung,
sondern auch auch verantwortungsbewusstes Handeln auf Tour voraus. Das solltet ihr bei der Tourenplanung immer beachten.