Klettersteig Dolomiten: Das große Sellaband
Panoramawandern an der »Gralsburg der Ladiner«. Manchmal ist es die Natur, welche die schönsten Wege baut. Wie in der Sella, deren doppelstöckiger Bau - unten Schlern-, oben Hauptdolomit - zur Ausbildung eines markanten »Brustrings« führte. Der ist manchmal eine mächtige Terrasse, dann wieder beängstigend schmal, da und dort auch unterbrochen.
Das Ringband
Auf der Südostseite der Sella folgt ein markierter Weg diesem Absatz, vom Geröllkar unterhalb der Forcella Pordoi bis zur Franz-Kostner-Hütte (2537 m) – eine Aussichtspromenade ersten Ranges. Das trifft auch auf das nordwestseitige Sellaband zu, doch hier existieren weder ein gebahnter Weg noch Markierungen. Lediglich eine dünne Spur (die manchmal auch fehlt) gibt die Richtung vor, bei guten Sichtverhältnissen (aber nur dann!) bieten sich allerdings kaum Orientierungsschwierigkeiten. Das Band ist überwiegend komfortabel breit, lediglich zwei Engstellen im ersten Wegdrittel verlangen erhöhte Vorsicht. Der (große) Rest ist Aussichtswandern unter den mächtigen Gipfelwänden der Sella, mit fantastischer Aussicht zum Langkofel und auf das Grödner Tal, fern im Osten bis zum Ortler. Unter dem Piz Selva stößt man auf den bekannten Pößnecker Klettersteig, der vom Sellajoch heraufkommt. Er vermittelt den Zugang zur Gipfeletage des Massivs: fünf Fast-Dreitausender über der Geröll- und Karrenwüste des Altipiano delle Mesules. Nach der Terrassen- also noch eine Parade-Kammwanderung: hundert Dolomitengipfel im weiten Rund und am Horizont neben vielen Firngipfeln markant Österreichs Höchster, der Großglockner (3798 m). Noch mehr fasziniert aber der Kontrast zwischen dem ins Wiesen- und Waldgrün eingebetteten Grödner Tal und der Mondlandschaft der Sella: hier Leben, dort lebensfeindliche Ödnis. Und wenn gar ein Gewitter droht, mächtige Wolkentürme sich über dem benachbarten Langkofel aufbauen, der Wind um die Grate orgelt und Nebelschwaden aus dem Canyon des Lasties heranziehen, gewinnt die Szenerie einen beinahe apokalyptischen Anstrich. Dann allerdings ist es besser, wenn man schon im Abstieg ist, nicht mehr weit vom schützenden Dach der Pisciadù-Hütte…
Hinauf zur Terrasse
Die Tour startet amGrödner Joch (2121 m), dem Übergang vom Hochabtei ins Grödner Tal. Der gut markierte Hüttenweg gewinnt rasch an Höhe, quert dann flach hinüber zur Mündung des Val Setùs. In dem von senkrechten Felsen flankierten Graben (im Frühsommer Schneereste) geht’s steil bergan, zuletzt mit Drahtseilhilfe über leichte Felsstufen. Nach dem Ausstieg ins Flache (ca. 2610 m) hält man sich rechts (links kurz absteigend zur Ütia Pisciadù). Deutliche Markierungen leiten zunächst im Geröll bergan gegen die Nordwand des Sas da Lech, dann quert das Weglein in leichtem Auf und Ab die Schuttterrasse nach Westen. Dabei kommt man an den beiden Drachenseen vorbei, von denen der erste bloß eine größere Pfütze zwischen den Steinen ist.
Aussichtswandern
Wenig oberhalb der zweiten Lacke (Lech dl Dragon, 2677 m) knickt die Spur nach links ab in das steile Val Ciadin (Aufstieg zur Forcela dai Ciamorces mit kurzer gesicherter Steilpassage). Hier geht man – zuerst leicht absteigend – geradeaus über die Geröllterrasse der Masores de Murfreit. Als Orientierungspunkt in dem weglosen Gelände dient der Felsrücken, der wie ein (harmloser) Riegel zwischen dem Ansatzpunkt des Piz Rotic und den Murfreittürmen liegt. Er erweist sich als prächtiger Rastplatz (ca. 2710 m) in großer Felskulisse mit Fernblick zum Großglockner. Gut einzusehen ist auch der Weiterweg bis zu dem flachen Rücken unter der Gipfelwand des Piz Miara. Die (hier recht deutliche) Spur verläuft in unmittelbarer Nähe des Felsfußes, hält dabei in etwa die Höhe. Es folgen zwei Engstellen, von denen die zweite zu erhöhter Vorsicht zwingt. Dann wird die Geröllterrasse wieder breiter; die Spur entfernt sich von der Mauer, steigt zuletzt an gegen den bereits erwähnten Rücken (ca. 2755 m). Faszinierender Blick auf die Murfreittürme (2634 m), dahinter die Cirspitzen. Unter der Sella-Felsmauer geht’s mit Prachtblick zum Langkofel ohne nennenswerte Höhenunterschiede weiter zum Ansatzpunkt des Piz-Gralba-Westgrats. Dahinter quert man unter mächtigen Felsdächern in dem recht beweglichen Gelände hinüber zu einer deutlichen Geröllspur, die gegen den Gratsattel zwischen Piz Selva und Piz Ciavazes ansteigt: der obere Teil des Pößnecker Klettersteigs.
Ein echter Oldie: der Pößnecker
Er quert, zunächst noch ohne Sicherungen, links über Schrofen zu einer seichten, aber recht steilen Rinne. Hier helfen Drahtseile weiter. Dann folgen leichte Kletterstellen (I) im Wechsel mit gesicherten Passagen, alles mäßig ausgesetzt. Bei einem großen Steinmann enden die Schwierigkeiten; über Schrofen gewinnt man den Gipfel des Piz Selva (2941 m). Die schönste Rundschau bietet dann der noch etwas höhere Piz Gralba (2972 m). Von besonderem Reiz sind die Tiefblicke auf das große Sella-Ringband und zur Sellastraße. Im Südosten zeigt sich rechts vom Piz Boè (3152 m) die Marmolada (3343 m) mit ihrem glänzenden Firnschild.
Mit viel Geröll garniert – der Abstieg
Bis in die Gamsscharte (Forcela dai Ciamorces, 2927 m) geht’s noch kaum bergab; Panoramawandern ist angesagt, und mit kleinen Abstechern sind drei weitere Randerhebungen des Meisules-Hochplateaus leicht erreichbar: Piz Miara (2964 m), Piz Beguz (2974 m) und Piz Rotic (2973 m). An der Sela de Pisciadù (2908 m) steht man am Ansatzpunkt eines mächtigen Geröllgrabens, beginnt der eigentliche Abstieg mit einer etwas heiklen, gesicherten Felspassage (ca.10 m) und einer längeren Rutschpartie. Gut auf die spärlich gesetzten Markierungen achten! Wer all das nicht so recht mag, nimmt den komfortableren, weiter östlich verlaufenden Weg durch das Val de Tita. Einige leichte Felsstufen gibt’s da zwar auch, dazu eine kurze gesicherte Stelle am Westfuß des Piz Pisciadù. Eine Etage tiefer, in der Pisciadù-Hütte (2585 m), ist dann auf jeden Fall eine Pause fällig, und man darf auf die faszinierende Runde anstoßen. Über den Anstiegsweg geht’s schließlich zurück zumGrödner Joch(2121 m). Die Sonne steht da bestimmt schon ganz tief über der Mündung des Grödner Tals, und vielleicht verfärben sich die nordwestseitigen Felsmauern der Sella gerade im letzten Abendlicht: enrosadüra.
Region
Touren-Charakter
Hochalpine, sehr anstrengende Runde, viel Geröll, am Ringband bloß schwache Spur. Landschaftlich einmalig, aber nur bei sicherem Wetter gehen, auf keinen Fall bei Nebel oder Schnee! Auf dem Ringband fühlt man sich mit Helm sicherer, für den oberen Abschnitt des »Pößneckers« ist ein Klettersteigset empfehlenswert. Als alternative Ausgangspunkte kommen der Parkplatz (1956 m) an der Ostrampe der Grödner-Joch-Straße und eventuell das Sellajoch (Zustieg über den Pößnecker Klettersteig, K5) in Frage.
Ausgangspunkt
Grödner Joch (2121 m)
Endpunkt
Grödner Joch (2121 m)Route
Gesamt 9 Std.; Grödner Joch - Abzweigung Ringband 1.30 Std., Ringband 3 Std., Pößnecker Klettersteig - Piz Selva 45 Min., Piz Selva - Sela de Pisciadù 1.45 Std., Abstieg 2 Std.
Schwierigkeit
K2-3Höchster Punkt
Piz Gralba (2972 m)Information
Zustieg, Pößnecker Klettersteig und Abstieg rot-weiß markiert; am Ringband keine Markierungen, nur mehr oder weniger deutliche Spur
Vertikal – horizontal
Ein ganz besonders intensives Bergerlebnis ergibt sich aus der Kombination von Pößnecker Klettersteig und Sellaband: spektakulär der (gesicherte) Aufstieg durch senkrechten Fels, faszinierend die Wanderung übers große Band bis zum Ansatzpunkt des Val Setùs bzw. zur Pisciadù-Hütte. Gehzeit vom Sellajoch bis zum Grödner Joch etwa 7 Std.; Pößnecker Klettersteig K5 bis zum Sellaband.
Für die Richtigkeit und Aktualität der Angaben kann trotz größtmöglicher redaktioneller Sorgfalt keine Haftung übernommen werden.
Insbesondere bei GPS Daten können Abweichungen nicht ausgeschlossen werden.
Sicher unterwegs: Ein glücklicher und erfolgreicher Tag in der Natur setzt nicht nur die richtige Vorbereitung,
sondern auch auch verantwortungsbewusstes Handeln auf Tour voraus. Das solltet ihr bei der Tourenplanung immer beachten.