Die Zukunft der Alpen
Wie sieht die Zukunft der Alpen aus? Werden die Berge immer weiter wachsen oder schrumpfen sie auch irgendwann? Immer genauere Forschungsmethoden liefern die Antwort.
Was für ein Paukenschlag! Die gewaltige Druckwelle legte Bäume um, als am 23. August 2017 etwa drei Millionen Kubikmeter Bergeller Granit vom Piz Cengalo mit 250 km/h ins Tal donnerten. Der seit 1881 zweitgrößte Bergsturz Graubündens forderte acht Menschenleben. Bereits fünf Jahre zuvor hatte der Dreitausender rund zwei Millionen Kubikmeter Fels von seiner Nordostflanke abgeschüttelt. Wie ein uraltes Haus, das nach und nach seinen Putz verliert.
Gebirge sind geologische Auffahrunfälle
An sich sind Bergstürze nichts Ungewöhnliches. Gebirge entstehen ohnehin durch geologische Auffahrunfälle. Die Kontinentalplatte, die sich dabei auf die andere schiebt, wird im Laufe von Jahrmillionen zu schwindelerregenden Gipfelhöhen und gewaltigen Steilwänden emporgehoben. Gleichzeitig setzen die Kräfte der Erosion an, die je nach Gesteinsstruktur die Berge mehr oder weniger schnell wieder abtragen.
Dieser Zerstörungsprozess hat durch die Klimaerwärmung allerdings an Fahrt aufgenommen. Da die Permafrostgrenze immer weiter nach oben verschoben wird, nimmt die Bergsturzaktivität seit der Jahrtausendwende eindeutig zu. Große Bergstürze am Jubiläumsgrat im Jahr 2001 oder der von Geologen erwartete Riesen-Felssturz am Hochvogel in den Allgäuer Alpen beweisen, dass diese Prozesse nicht auf den Alpenhauptkamm beschränkt sind.
Wachsen die Alpen weiter oder schrumpfen sie?
Seit Jahrzehnten fragen sich Wissenschaftler, was überwiegt: Hebung oder Abtrag? Wachsen die Alpen weiter oder schrumpfen sie? Forschungen, bei denen aus der Geröllfracht der größten Alpenflüsse der Massenabtrag ermittelt werden sollte, führten nicht zu besonders stichhaltigen Ergebnissen.
Neue Ansätze suchen die Lösung auf atomarer Ebene: Ein internationales Team der Uni Bern untersuchte den Fingerabdruck des chemischen Elements Beryllium im Sand von mehr als 350 Alpenflüssen. Der Clou: Beryllium-10, ein Isotop des Elements, entsteht, wenn kosmische Strahlung auf Quarzkörner trifft. Je schneller eine Oberfläche abgetragen wird, umso weniger Isotope sind im Sand vorhanden.
Die Westalpen wachsen weiter
Mithilfe dieser Methode zeichneten die Forschenden ein Bild über die Alpenerosion im Fachmagazin Earth Science Reviews und kamen zu dem Ergebnis, dass die Westalpen in der Summe um 80 Zentimeter pro Jahrtausend in die Höhe wachsen. Für die Geo-Wissenschaftler war das eine Überraschung. Bis dahin waren sie davon ausgegangen, dass Abtragung und Hebung ungefähr gleich schnell ablaufen.
Sanfte Hügel statt spitze Gipfel
Gleichzeitig wurde klar, dass in den Ostalpen der Massenabtrag die Hebungsprozesse übertrifft. Die östlichen Gipfel schrumpfen also. Insofern wird der Großglockner ziemlich neidisch zum Mont Blanc hinüberschauen. Der Blick nach Norden zum Großen Arber dürfte den höchsten Gipfel Österreichs geradezu beängstigen.
Auch der Bayerische Wald war einst ein stattliches Hochgebirge, dass vor etwa 60 Millionen Jahren ein letztes Mal emporgehoben wurde. Damals gab es hier spitze Gipfel, steile Felswände und schwindelerregende Grate. Doch im Laufe der Zeit wurde das Gebirge durch Verwitterungsprozesse abgetragen. Übrig blieben eher sanft gewölbte Gipfelkuppen, die typisch für alle deutschen Mittelgebirge sind – als zukünftige Form wohl auch für die Alpen.